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Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung [Editor]
Nassauische Annalen: Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung — 75.1964

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Schell, Günther: Die römische Besiedlung von Rheingau und Wetterau: eine historisch-geographische Untersuchung
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https://doi.org/10.11588/diglit.70355#0090

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Günther Schell

Niddaniederung voneinander getrennt; ebenso wie das wohlhabende Anwesen
auf dem Eichener „Heidenberg“ stehen sie in dem bei ländlichen Niederlassungen
allgemein üblichen Abstand von etwa 1000 m zu den ihnen benachbarten Guts-
höfen.
Aus dieser kurzen Schilderung geht hervor, daß eine mit dem Prädikat „reich“
versehene villa rustica nicht unbedingt inmitten ausgedehnter Ländereien und
somit isoliert von allen umliegenden landwirtschaftlichen Ansiedlungen stehen
muß: von den insgesamt 19 wohlhabenden Villen wäre diese Annahme nur für
vier Stellen zutreffend, nämlich für Kaibach, Kesselstadt, Kleinschwalbach und
Seulberg. Bei den restlichen Anlagen muß allerdings eingeräumt werden, daß die
umliegende Siedlungsdichte so aufgelockert ist, daß dennoch eine großflächige
Bewirtschaftung auf ausgedehnten Ländereien von dem jeweiligen reichen Guts-
hof aus denkbar wäre; in diesem Falle bliebe für den Hof aber nur eine periphere
Lage innerhalb des eigenen Besitztums übrig.
Um so auffälliger erscheint dafür die Tatsache, daß all diese reichen Farmen
die denkbar vorteilhaftesten Positionen in der Landschaft aufweisen können:
fast dieser Villen steht auf riedelartigen Erhebungen oberhalb eines Zusammen-
flusses zweier Bäche, nämlich die Anlagen auf der „Hasselt“ und im „Höfchen“
nahe Wiesbaden, die beiden Höfe bei Mittelbuchen und die ländlichen Anwesen
von Gronau und Kleinschwalbach. Von den gut ausgestatteten Herrenhäusern ist
grundsätzlich ein beherrschender Blick über das umliegende Gelände möglich.
Dieser Umstand ist in erster Linie darauf zurückzuführen, daß die betreffenden
römischen Grundstücke in klimatisch günstigen Hanglagen vorzufinden sind:
weit über die Hälfte aller reichen Villen, d. h. 12 von insgesamt 19, waren auf
einer Abdachung in Südexposition errichtet.
Faßt man nun die wohlhabenden römischen Höfe kartographisch zusammen,
so bilden sie einen einheitlichen Streifen parallel zum Verlauf von Rhein und
Main (s. Abb. 16): Sie beginnen bei Rüdesheim im westlichsten Rheingau, setzen
sich über Wiesbaden und Flörsheim durch das Main-Taunusvorland fort, be-
rühren nördlich Kleinschwalbach die südöstlichen Taunusausläufer und sind
schließlich in dem Raum zwischen Frankfurt-Kesselstadt und Kaibach-Eichen,
d. h. nur in der südlichen Wetterau, anzutreffen. Das verstreute Vorkommen
von Rüdesheim bis zum östlichen Limes bei Hanau weist einerseits darauf hin,
daß dieser Typus von Anlagen an keine speziellen landschaftlichen oder gar ökoto-
pischen Gegebenheiten gebunden ist; andererseits wundert es, daß die mittlere
und nördliche Wetterau völlig frei von reichen Gutshöfen geblieben war. Eine
Erklärung hierfür kann wiederum lediglich in der politischen Situation des
damaligen Okkupationsgebietes zu suchen sein, wonach die wohlhabenden römi-
schen Siedler die nach dem feindlichen Germanien hin exponierten Landschaften
mieden und stattdessen das gesicherte Hinterland aufsuchten. Als fraglich muß
es dann in diesem Falle erscheinen, ob die Höfe tatsächlich alle vom Staat
gegründet wurden bzw. ob das entsprechend zugehörige Land von der Regierung
vergeben wurde: dann wäre doch eher entweder an eine Konzentration aller
luxuriösen Villen in einem bestimmten Gebiet oder an eine gleichmäßige Ver-
teilung über den Rheingau und die gesamte Wetterau zu denken. Hier liegt
jedoch die Annahme näher, daß die völlig unabhängigen, kapitalkräftigen Bau-
herren ihre Grundstücke frei nach eigenem Ermessen auswählten und auf Grund
dieses Vorteils die militärisch gesichertsten Landschaften bevorzugten.
2. Im Laufe der vorhergehenden Kapitel, u. a. im Zusammenhang mit der
zeitlichen Datierung der Villen, war schon des öfteren von den zu den einzelnen
Gutshöfen gehörigen Gräbern die Rede. Leider konnten sie jedoch nur in den
seltensten Fällen zusammen mit den Villen restlos aufgedeckt werden; bzw.
wenn dies tatsächlich der Fall ist, dann läßt die entsprechende Literatur viel-
fach genauere Hinweise auf den Fundort dieser Gräberanlage vermissen. Es ist
daher nicht möglich, innerhalb des Rheingaus und der Wetterau eine spezielle
 
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