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Künstler-Gesellschaft Zürich [Hrsg.]
Neujahrsblatt der Künstlergesellschaft in Zürich — 49.1889

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[Briefwechsel 10.Oktober 1803 - 15. Juni 1805]
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https://doi.org/10.11588/diglit.43108#0013
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Wagner an Hess.
Basel, den 10. Oktober 1803.
Ich bin hier in einem solchen Ozean von Kunst, Kunstsachen, Kunstliebhabern, Kunsthändlern und
dergl. schönen Siebensachen mehr versunken, dass ich darob mich selbst, alles was nicht Kunst ist in
der Welt, — ja sogar vergessen habe, an Sie, mein werthester Herr Freund, zu schreiben, und Ihnen
über die brüske Weise, wie ich von Zürich verreist bin, ohne von Ihnen und Ihren liebenswürdigen
Freunden, besonders dem lieben kleinen Freitags-Comite \) Abschied zu nehmen, meine Entschuldigung
zu machen. — Doch Sie kennen meine Art und Unart, hie und da von dem gewöhnlichen Höflichkeits-
Zeremoniel abzuspringen, die indess mehr von meiner wetterwendischen Gemüths- und Leibesgesundheit,
und meiner vagabonden Lebensweise, als von Unerkenntlichkeit und Herzlosigkeit in der Freund-
schaft sich herschreibt, und werden mich daher mit Ihrer bekannten Toleranz gegen dergleichen Kon-
venienz-Sünden entschuldigen und auch bei Ihren Freunden weiss waschen.
Ehe ich nach Basel kam, streifte ich 8 à 14 Tage im Aargau herum, besuchte alte Freunde und
Bekannte, noch mehr beinahe aber alte Schlösser und Burgen, die daselbst zahlreicher als in einem
andern Theil unseres Landes ihr romantisches Haupt aus waldigen Hügeln emporheben. Mein Geschäft
war dabei, malerische Aussichten aufzufinden, um dereinst durch ein Itinerarium pittorescum dem
Künstler Zeit und Mühe zu ersparen, selbst nach einer Gemälde-Ausstellung in der Natur herum zu
laufen und er nur brauche angegebene Standpunkte aufzusuchen und da mit Thek und Farben nieder-
zusitzen und zu arbeiten. Zu Basel succedirten diesen Naturgemälden, wie schon gesagt, nun Kunst-
gemälde, und das in ungeheurer Menge. In 8 Tagen habe ich daselbst in verschiedenen Kabi-
neten wohl 3 à 4000 grosse, grössere und kleinere Gemälde gesehen2). — Ich stund sogar vor
Raphaelen, vor Guiden, vor Corregien, Carraccen und andern solcher Heroen der Kunst ; Claudes sah
ich wohl 10 oder 12, Teniers bei 50 und das dazu von den schönsten; mit einem Worte, es ist in
Basel ein solcher Schatz an Gemälden, der mit dem Geschmack und mancher andern ästhetischen
Eigenschaft dieser Stadt in einem solch’ auf den Kopf gestellten Verhältniss steht, dass man darob
sich gar nicht zurechtzufinden weiss. — Vielleicht explizirt sich dieser Widerspruch zwischen dem
subjektiven Besitzer und dem objektiven Besitzthum dadurch am besten, wenn man die Malereien als
blosse Zahlengrössen betrachtet, die den kaufmännischen Eigenthümer, Liebhaber, Kenner oder wie
man die Herren Besitzer sonst nennen will, um desto mehr charmiren, je mehr Nullen auf dem darauf
gehefteten Preisbillet hinter der Vorderzahl stehen. Damit erklärte ich mir auf’s Wenigste, wenn
die lieben Leute vornehm bei einem kleinen, aber trefflichen Bilde vorbeizogen und es kaum eines
Blickes würdigten, wenn die Zahl nicht aus den Hunderten stieg, plötzlich aber Respekt bekamen und
anbeteten, wenn 3 à 4 Nullen hinter der Flügelmannszahl nachtrabten. Sie müssen wissen, dass hier
mehrere Hunderte von Gemälden sind, die man jedes 4, 5, 6 bis 8000 Gulden schätzt. Wer indess
diese Summe dafür bezahlen solle und werde, übersteigt mein Vermuthungs-Vermögen. Meine Wenigkeit
und Armuth erschrickt auch ordentlich, wenn ich von den vielen 4, 5, bis 8 hundert Louisd’ors wie
von so viel Linsenkörnern sprechen höre; und schon hat mir dieser Wortklang die Freude an manchem
Bilde verdorben, das ich mit Vergnügen betrachtet hätte, wenn es nicht eine Summe repräsentirte, durch
welche manche dürftige, ganze Familie auf einmal aus der tiefsten Verzweiflung in Glück und Wohlsein
versetzt werden könnte.
') Vergl. die Einleitung.
2) Vergl. das Neujalirsblatt der Künstlergesellschaft vom Jahr 1859.
 
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