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Schwarzmaier, Hansmartin [Hrsg.]; Krüger, Jürgen [Hrsg.]; Krimm, Konrad [Hrsg.]
Das Mittelalterbild des 19. Jahrhunderts am Oberrhein — Oberrheinische Studien, Band 22: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2004

DOI Artikel:
Schupp, Volker: Mittelalterrezeption im deutschen Südwesten
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.52739#0013
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Mittelalterrezeption im deutschen Südwesten

VON VOLKER SCHUPP

Johannes Gut zum Gedächtnis'
1.
Der Begriff der Rezeption, der bei unseren heutigen Problemen im Mittelpunkt steht, muß
von dem üblichen der Literaturwissenschaft methodisch weitgehend ferngehalten werden.
Es geht nicht vordringlich um die Erkenntnis des von der Aufnahme her gesteuerten
künstlerischen Prozesses, sondern um das mehr oder weniger bewußte Aufgreifen von
vorgänglich Gestaltetem oder Gelebtem. Dabei werden künstlerische und außerkünstle-
rische Intentionen eine Rolle spielen, Moden und Aversionen. Die Sache ist uralt, ich
denke, daß man auch die sogenannten Renaissancen hier zumindest als Systemvorbilder
einbeziehen kann. Da die Konstanzer Schule den Anspruch erhoben hat, sich über die Re-
zeption früheren, historischen Epochen der Literatur zu nähern, wird die Rezeptions-
ästhetik gelegentlich berücksichtigt werden müssen, die ja mit einem Paradigmenwechsel
einhergeht.
Was man im Normalverstand als Rezeptionsforschung bezeichnet, geht angeblich auf
Probleme zurück, die die Mittelalterforschung, insbesondere die Altgermanistik, in den
60/70er Jahren mit den aufsässigen Studenten gehabt hat. Es scheint mir aber nicht mög-
lich, die Existenz dieses Forschungsfeldes allein auf die universitätspolitische Situation
nach der Studentenrevolte zurückzuführen, die Denkform gehört in einen größeren Zu-
sammenhang. Daß ein gewisser Anstoß von dort ausgegangen ist, wird man nicht abstrei-
ten können. Ich habe es selbst miterlebt. Immer wieder wurde die Germanistik/Mediävi-
stik aufgefordert, ihre Relevanz nachzuweisen, was ihr offensichtlich schwerfiel. Ein
Ausweg war, das ganz Alte mit dem ganz attraktiven Neuen zu verbinden, was ja auch
nicht so neu war, was aber weniger beachtet wurde. So kam es, um nur einen der bekann-
testen Forschungsansätze anzuführen, zur Fragestellung: Wie wurde das Nibelungenlied
im Dritten Reich verwendet? Das war für damalige Zeiten ungeheuer relevant, es hat an-
dererseits auch dazu geführt, den Verdacht, das Nibelungenlied könne nur in nationalisti-
sche und faschistische Gedankengänge führen, weiter zu verstärken. Allmählich verlor
* Wenige Tage vor seinem plötzlichen Tod versuchten Johannes Gut und ich das Thema dieser Ein-
leitung zu formulieren. Wir kamen zu keinem Abschluß. Das Gespräch wird durch diesen Vortrag
fortgeführt, der ihm gewidmet ist.
 
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