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Schwarzmaier, Hansmartin [Hrsg.]; Krüger, Jürgen [Hrsg.]; Krimm, Konrad [Hrsg.]
Das Mittelalterbild des 19. Jahrhunderts am Oberrhein — Oberrheinische Studien, Band 22: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2004

DOI Artikel:
Schmidt-Bergmann, Hansgeorg; Schmidt-Bergmann, Hansgeorg: Das Mittelalterbild in der deutschsprachigen Literatur des 19. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung des Oberrheins
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https://doi.org/10.11588/diglit.52739#0261
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Das Mittelalterbild in der deutschsprachigen Literatur
des 19. Jahrhunderts
unter besonderer Berücksichtigung des Oberrheins

VON HANSGEORG SCHMIDT-BERGMANN

Laßt uns soviel als möglich an der Gesinnung halten in der wir herankamen, wir werden,
mit vielleicht noch wenigen, die Letzten sein einer Epoche die so bald nicht wiederkehrt -
dieser Satz, einem Brief Johann Wolfgang von Goethes vom 6. Juni 1825 an den Vertrau-
ten Karl Friedrich Zelter entnommen1, wirkt heute aufgeladen mit historischer und poli-
tischer Aktualität. Die Aneignung von Geschichte in der wissenschaftlichen wie in der
populären Form unterliegt notwendigerweise den aktuellen gesellschaftlichen und politi-
schen Entwicklungen. Dies gilt auch für die literarische Rezeption des Mittelalters im
neunzehnten Jahrhundert, was exemplarisch wiederum ein Text Johann Wolfgang von
Goethes zeigt. Zu einem der literarischen Schlüsselwerke seiner Zeit gehört Dichtung und
Wahrheit, der Versuch einer Autobiographie als Selbstvergewisserung der historischen
Partizipation eines als kulturellen Repräsentanten seiner Zeit sich verstehenden Künstlers,
Gelehrten und Citoyens. Der erste Teil der Erinnerungen wurde 1811 veröffentlicht und
ist somit aus dem Bewußtsein des krisenhaften und kriegerischen ersten Jahrzehnts des
19. Jahrhunderts konzipiert und geschrieben worden. Während seiner Arbeit am 2. Band
empfing Goethe im Mai 1811 den jungen Romantiker und Kunstsammler Sulpiz Bois-
seree, der dem Dichter Zeichnungen der Dome von Köln, Straßburg, Reims und Wien
mitgebracht hatte und ihm über seinen Plan einer Kunstgeschichte der Gotik berichtete.
Täglich, so heißt es, setzte Goethe sich mit den Bauplänen und historischen Studien aus-
einander und begann für seine Erinnerungen mit der Ausarbeitung des Abschnittes über
die Straßburger Studienzeit. Das Münster und sein Baumeister Erwin von Steinbach be-
kommen in der Darstellung eine emblematische Funktion. Rückblickend berichtet
Goethe über seine Wahrnehmung des gotischen Bauwerks und projiziert seine Ent-
deckung des Mittelalters implizit zurück in den April 1770: Ich war im Wirtshaus »Zum
Geist« abgestiegen und eilte sogleich, das sehnlichste Verlangen zu befriedigen und mich
dem Münster zu nähern, welches durch Mitreisende mir schon lange gezeigt und eine
ganze Strecke her im Auge geblieben war. Als ich nun erst durch die schmale Gasse diesen
Koloß gewahrte, sodann aber auf dem freilich sehr engen Platz allzu nah vor ihm stand,
machte derselbe auf mich einen Eindruck ganz eigner Art, den ich aber, auf der Stelle zu
entwickeln unfähig, für diesmal nur dunkel mit mir nahm, indem ich das Gebäude eilig
1 Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche, Bd. 10, hg. von H. Fleig, Frankfurt/Main
1993, S. 277.
 
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