Bürger spielen Mittelalter
Historismus in der Fest- und Vereinskultur
VON HEINZ SCHMITT
Das Mittelalter hat Konjunktur! Wenn man heute Lokal- oder Regionalzeitungen auf-
schlägt, stößt man mit großer Wahrscheinlichkeit auf Ankündigungen oder Berichte über
Veranstaltungen, die unter der Marke »Mittelalter« stattfinden. Man kann geradezu von
einer Mode sprechen. Dabei handelt es sich eigentlich um gar nichts Neues. Der Rückgriff
auf die Geschichte scheint in gewissen Zeitabständen wiederzukehren, hatte Höhepunkte
im Anfang und gegen Ende des 19. Jahrhunderts, in den 1920er Jahren und jetzt wieder
um die Jahrtausendwende.
Natürlich gibt es eine Reihe historischer Feste, die in einer gewissen Kontinuität län-
gere Zeiträume überdauert und sich immer wieder erneuert haben, z.B. das Peter und
Paul-Fest in Bretten, das Ravensburger Rutenfest, das Kaufbeurer Tänzelfest oder die
Landshuter Fürstenhochzeit, übrigens ein Meisterstück historistischer Festgestaltung.
Aber alle diese Feste haben zumeist erst im zwanzigsten Jahrhundert ihre historische Sti-
lisierung erfahren, das Brettener Peter und Paul-Fest beispielsweise erst in den letzten
fünfzig Jahren.
Das Mittelalter oder das, was man darunter versteht, wird derzeit ständig neu in Dienst
genommen. Überall gibt es »mittelalterliche Märkte« mit Handwerkern, Gauklern, Spiel-
leuten und mit entsprechenden Speiseangeboten. Stellenweise, wie in Angelbachtal, wer-
den Ritterturniere vorgeführt. Wiesloch feierte seinen Stadtgeburtstag im mittelalterlichen
Gewand, Heidelsheim hatte sein Reichsstadtfest, Untergrombach sein Joß Fritz-Fest, um
nur ein paar nordbadische Beispiele des Jahres 2001 zu nennen. Ganz rasch haben sich
Agenturen gebildet, die Ritterturniere, Spielleute und Markthandwerker an interessierte
Gemeinden vermitteln. »Das Mittelalter ist total angesagt«, meinte der Inhaber der Wies-
locher Agentur »Medioevo1«.
Nachdem bereits im Vorjahr ein »Nibelungenzug« mehrere Tage lang durch den
Odenwald nach Worms gegangen war, eröffnete die Stadt am 18. August 2001 ihr um-
strittenes Nibelungenmuseum mit einem »historischen Spektakel«. Beginnend mit dem
Jahr 2002 sollen vor dem Südportal des Domes Nibelungenfestspiele stattfinden. Der
Wormser Kulturdezernent spricht vom »Werbeschwerpunkt Nibelungen2«. Offensicht-
lich bemüht sich die Stadt aber auch um seriöse Forschung und hat schon mehrmals ent-
sprechende Symposien veranstaltet. Bei einem Rundblick sei auch die große Landesaus-
1 Badische Neueste Nachrichten vom 28. Juli 2001.
2 Weinheimer Nachrichten vom 13. September 2001.
Historismus in der Fest- und Vereinskultur
VON HEINZ SCHMITT
Das Mittelalter hat Konjunktur! Wenn man heute Lokal- oder Regionalzeitungen auf-
schlägt, stößt man mit großer Wahrscheinlichkeit auf Ankündigungen oder Berichte über
Veranstaltungen, die unter der Marke »Mittelalter« stattfinden. Man kann geradezu von
einer Mode sprechen. Dabei handelt es sich eigentlich um gar nichts Neues. Der Rückgriff
auf die Geschichte scheint in gewissen Zeitabständen wiederzukehren, hatte Höhepunkte
im Anfang und gegen Ende des 19. Jahrhunderts, in den 1920er Jahren und jetzt wieder
um die Jahrtausendwende.
Natürlich gibt es eine Reihe historischer Feste, die in einer gewissen Kontinuität län-
gere Zeiträume überdauert und sich immer wieder erneuert haben, z.B. das Peter und
Paul-Fest in Bretten, das Ravensburger Rutenfest, das Kaufbeurer Tänzelfest oder die
Landshuter Fürstenhochzeit, übrigens ein Meisterstück historistischer Festgestaltung.
Aber alle diese Feste haben zumeist erst im zwanzigsten Jahrhundert ihre historische Sti-
lisierung erfahren, das Brettener Peter und Paul-Fest beispielsweise erst in den letzten
fünfzig Jahren.
Das Mittelalter oder das, was man darunter versteht, wird derzeit ständig neu in Dienst
genommen. Überall gibt es »mittelalterliche Märkte« mit Handwerkern, Gauklern, Spiel-
leuten und mit entsprechenden Speiseangeboten. Stellenweise, wie in Angelbachtal, wer-
den Ritterturniere vorgeführt. Wiesloch feierte seinen Stadtgeburtstag im mittelalterlichen
Gewand, Heidelsheim hatte sein Reichsstadtfest, Untergrombach sein Joß Fritz-Fest, um
nur ein paar nordbadische Beispiele des Jahres 2001 zu nennen. Ganz rasch haben sich
Agenturen gebildet, die Ritterturniere, Spielleute und Markthandwerker an interessierte
Gemeinden vermitteln. »Das Mittelalter ist total angesagt«, meinte der Inhaber der Wies-
locher Agentur »Medioevo1«.
Nachdem bereits im Vorjahr ein »Nibelungenzug« mehrere Tage lang durch den
Odenwald nach Worms gegangen war, eröffnete die Stadt am 18. August 2001 ihr um-
strittenes Nibelungenmuseum mit einem »historischen Spektakel«. Beginnend mit dem
Jahr 2002 sollen vor dem Südportal des Domes Nibelungenfestspiele stattfinden. Der
Wormser Kulturdezernent spricht vom »Werbeschwerpunkt Nibelungen2«. Offensicht-
lich bemüht sich die Stadt aber auch um seriöse Forschung und hat schon mehrmals ent-
sprechende Symposien veranstaltet. Bei einem Rundblick sei auch die große Landesaus-
1 Badische Neueste Nachrichten vom 28. Juli 2001.
2 Weinheimer Nachrichten vom 13. September 2001.