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So sprach das Weib zu den Menschen. Und stumm waren sie geworden,
ganz stumm und still. Zitternde Glut umfloss ihre Körper und Hess sie in feuriger
Regung erstrahlen. Sie boten ihm ihre Hülfe, alle, alle, und das Weib stand
auf der Schwelle in purpurnem Lichte, eine wirkende Priesterin zukunftschafFenden
Lebens. Ein einziges Jubellied erscholl, als die Menge sich wieder der Stadt zu-
wandte, und noch lange trug der Wind die wallenden Klänge zu dem Hause an
der Berglehne.

Und noch einmal kam es die Strasse herauf, zwei kleine, liebe Gestalten, ein
Knabe und ein Mädchen, und „Mutter!" riefen sie schon von fern und beflügelten
ihre Schritte. Die Mutter aber lächelte und zog die lieblich Erhitzten an ihre Brust.

„War es schön heute?" — fragte sie die Kleinen.

„O, wunderschön, Mutter! Da drunten am See! Wir haben Steine gesucht
und Muscheln, und barfuss sind wir gelaufen, aber nur ganz wenig ins Wasser
hinein. Schau', nur bis daher!" — Und das Mädchen wies auf den Knöchel am
linken Füsschen, aber der Knabe fiel ein:

„Ja, aber ich habe sie an der Hand behalten, weisst du, damit ihr nichts passiert.
Du brauchtest gewiss keine Sorge zu haben, liebe Mutter, denn ein alter Mann war
bei uns und hat Acht auf uns gegeben und mit uns gespielt, und dann hat er gesagt,
Kinder müssten in der Sonne spielen. Die Sonne sei die Liebe." — Da drängte sich
eine Thräne in das Auge der Mutter, eine helle, lichte Freudenthräne. Sie küsste
die Kinder und trat mit ihnen ins Haus hinein, denn die Sonne war untergegangen,
und kühle Dämmerung kroch aus dem Walde hervor. „Damit ihr euch nicht
erkältet!" — sagte sie leise. ■—

Und es war um die Zeit der Abendsonne, da ich solches sah vom Berge
herab. Nun zog ich den Mantel fest um die Schulter 5 ein Felsblock schützte mich
vor dem Wehen der Nachtluft. Ich lagerte mich ins weiche Moos und schob die
Hände unter den Kopf. So sah ich nichts mehr unter mir, nur über mir den tief
dunkelblauen Himmel. Ein Stern trat aus dem Blau hervor, erst winzig ldein und
mit zaghaft flimmerndem Strahl, dann grösser und grösser, bis er zuletzt dastand,
glänzend gross mit weissem, reinglühendem Licht. Von dem Stern sah ich einen
Strahl sich lösen, der herabschwebte zu mir. Ich wartete und suchte ihn zu erkennen.
Es war ein Wogen und Weben im Lichte, aber dieses Gewoge nahm Form an
mehr und mehr, je näher es kam, und da — da erkannte ich: Meine Mutter! Und
ich sah noch ihr glänzend schönes Auge, ich sah noch den mildgütigen Zug ihres
Lächelns, ich fühlte noch, wie ihre weiche Hand mir über das Haupt fuhr .. . Und
dann träumte mir, ein wallendes Lichtmeer umflute mich, wie einst, da ich als Knabe
an der Hand der Mutter das Goldgewoge der heimatlichen Fluren durchschritt und
Blumen pflückte, Blumen, farbenstrahlende Blumen. Diesmal aber trug ich eine
Fahne in der Hand, welche die Mutter mir gestickt. Und von grünem Bandge-
winde strahlten die goldnen Sprüche des greisen Mannes:

„Wohl dem, der im Leben den Weg wieder zurückfindet zu dem Flecke, wo
die Lichtstrahlen tanzen und liebend des Lebens walten!"

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