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Signum Triciput
naissancekunst eingedrungen? Die erste dieser beidenFragen—die nach
der Art der Rezeption — läßt sich dahin beantworten, daß, wie in fast
allen ähnlich gelagerten Fällen, die Kunst zunächst nicht aus den bild-
lichen, sondern aus den literarischen Quellen geschöpft hat. Wir
können verfolgen, wie die Darstellungen bis in die Spätzeit des 16. Jahr-
hunderts hinein zwar unter einander zum Teil in Bildtradition stehen,
wie aber diese (infolgedessen überaus disparate) Bildtradition ihrerseits
nicht von dem antiken Cerberustypus (Abb. 6, 7) ihren Ausgang nimmt,
sondern mit mehr oder minder Geschick die Angaben des Macrobius-
textes recht eigentlich zu ,,veranschaulichen“ sucht, wobei sie (wie so
häufig, wenn für einen nur textmäßig überlieferten Darstellungsinhalt
ein bildlicher Ausdruck allererst gesucht wird) zum Teil an feststehende
Bildprägungen einigermaßen verwandten Inhalts sich anschließt —
„Analogiebildung“, um mit Wilhelm Vöge zu reden —, zum Teil aber
auch, ganz ohne Anknüpfung an irgend einen bildlich vorgeformten
Typus, den Text rein von den Worten aus zu illustrieren strebt. Manchmal
versuchen die Künstler, das „Signum triciput“ der Gestalt des klauen-
bewehrten apokalyptischen Drachens oder der in den Bestiarien und
Enzyklopädien des Mittelalters so häufig begegnenden Fabeltiere anzu-
gleichen (Abb. 10,11,12,14,15); manchmal wird die Schlange, die die drei
Tiergestalten „conectit volumine suo“, infolge eines leicht begreiflichen
Mißverständnisses im Sinne des namentlich für die Saturndarstellungen
typischen „Zeitdrachens“ interpretiert, dessen in sich zurückkehrende,
den „Anfang“ mit dem „Ende“ in Eines setzende Kreisform die Tier-
häupter weniger umwindet als umrahmt (Abb. 17,18,19); manchmal
wird die Erinnerung an tierköpfige Gottheiten mit der an mehrköpfige
verbunden, und beide auf die Vorstellung des „Signum triciput“ über-
tragen, so daß der menschengestaltige Gott mit seinem Begleittier zu
einer einzigen Figur verbunden erscheint (Kopfstück S. 1); manchmal
endlich gelangt man —■ hier ohne alle Bilderinnerung — zu der Idee
eines einfachen konischen Körpers, aus dem die Tierköpfe herauswachsen
(Abb. 22, 24), und der entweder in einen Schlangenleib einmünden kann
(Abb. 16, 20)1), oder aber — wie ein riesiger Blumenstrauß von seinem
Bande — von der Schlange umwunden wird (Abb. 21, 23). Erst in der
Spätzeit des 16. Jahrhunderts ist man dazu gekommen, die Bildbeschrei-
bung des Macrobius mit den erhaltenen Denkmälern zusammen-
zubeziehen (Abb. 25).
Was nun die Frage nach dem Zeitpunkt der Rezeption betrifft,
so vermögen wir hier — und damit bestätigt sich die Behauptung, daß
1) Dies offenbar nach dem Ovide moralise- bzw. ,,Libellus"-Text, in dem es heißt:
„Capita ... in unum tantum corpus cohibebant, unam solam caudam serpentis habentia.“
Signum Triciput
naissancekunst eingedrungen? Die erste dieser beidenFragen—die nach
der Art der Rezeption — läßt sich dahin beantworten, daß, wie in fast
allen ähnlich gelagerten Fällen, die Kunst zunächst nicht aus den bild-
lichen, sondern aus den literarischen Quellen geschöpft hat. Wir
können verfolgen, wie die Darstellungen bis in die Spätzeit des 16. Jahr-
hunderts hinein zwar unter einander zum Teil in Bildtradition stehen,
wie aber diese (infolgedessen überaus disparate) Bildtradition ihrerseits
nicht von dem antiken Cerberustypus (Abb. 6, 7) ihren Ausgang nimmt,
sondern mit mehr oder minder Geschick die Angaben des Macrobius-
textes recht eigentlich zu ,,veranschaulichen“ sucht, wobei sie (wie so
häufig, wenn für einen nur textmäßig überlieferten Darstellungsinhalt
ein bildlicher Ausdruck allererst gesucht wird) zum Teil an feststehende
Bildprägungen einigermaßen verwandten Inhalts sich anschließt —
„Analogiebildung“, um mit Wilhelm Vöge zu reden —, zum Teil aber
auch, ganz ohne Anknüpfung an irgend einen bildlich vorgeformten
Typus, den Text rein von den Worten aus zu illustrieren strebt. Manchmal
versuchen die Künstler, das „Signum triciput“ der Gestalt des klauen-
bewehrten apokalyptischen Drachens oder der in den Bestiarien und
Enzyklopädien des Mittelalters so häufig begegnenden Fabeltiere anzu-
gleichen (Abb. 10,11,12,14,15); manchmal wird die Schlange, die die drei
Tiergestalten „conectit volumine suo“, infolge eines leicht begreiflichen
Mißverständnisses im Sinne des namentlich für die Saturndarstellungen
typischen „Zeitdrachens“ interpretiert, dessen in sich zurückkehrende,
den „Anfang“ mit dem „Ende“ in Eines setzende Kreisform die Tier-
häupter weniger umwindet als umrahmt (Abb. 17,18,19); manchmal
wird die Erinnerung an tierköpfige Gottheiten mit der an mehrköpfige
verbunden, und beide auf die Vorstellung des „Signum triciput“ über-
tragen, so daß der menschengestaltige Gott mit seinem Begleittier zu
einer einzigen Figur verbunden erscheint (Kopfstück S. 1); manchmal
endlich gelangt man —■ hier ohne alle Bilderinnerung — zu der Idee
eines einfachen konischen Körpers, aus dem die Tierköpfe herauswachsen
(Abb. 22, 24), und der entweder in einen Schlangenleib einmünden kann
(Abb. 16, 20)1), oder aber — wie ein riesiger Blumenstrauß von seinem
Bande — von der Schlange umwunden wird (Abb. 21, 23). Erst in der
Spätzeit des 16. Jahrhunderts ist man dazu gekommen, die Bildbeschrei-
bung des Macrobius mit den erhaltenen Denkmälern zusammen-
zubeziehen (Abb. 25).
Was nun die Frage nach dem Zeitpunkt der Rezeption betrifft,
so vermögen wir hier — und damit bestätigt sich die Behauptung, daß
1) Dies offenbar nach dem Ovide moralise- bzw. ,,Libellus"-Text, in dem es heißt:
„Capita ... in unum tantum corpus cohibebant, unam solam caudam serpentis habentia.“