Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
32

Signum Triciput

Stellungstypus gestaltet (vgl. Abb. 25 mit Abb. 11 und 12). Und doch
welch ungeheurer Unterschied! All das, was die älteren Bilder jenes Krei-
ses recht eigentlich kennzeichnete, die bunte Mannigfaltigkeit der Attri-
bute, die Einordnung in landschaftliche Umgebung, das Unhistorisch-Ge-
genwärtige des Zeitkostümes, ist verschwunden: vor schwarzem Grunde
steht der Gott in idealer Nacktheit, gekennzeichnet nur durch zwei Attri-
bute — die Leier und das „Signum triciput“. Diese beiden Attri-
bute aber, und das ist das wahrhaft Bedeutsame, sind jetzt auf rein
antikische Form gebracht. Die moderne Zither ist ersetzt durch eine
archäologisch richtige Lyra, die Darstellung des dreiköpfigen Ungeheuers
restituiert, zum ersten Male nach so langer Zeit der bloßen Text-
veranschaulichung, den echt antiken Cerberustypus (denn wie an-
ders als aus unmittelbarer Anschauung eines erhaltenen Denkmals wäre
der in den Texten nirgends belegte und daher bislang den Darstellungen
fremd gebliebene Hundeleib des Monstrums erklärlich ?). Und wenn die
Apollofigur selber auf uns mehr bronzinesk und michelangelesk als eigent-
lich antikisch wirkt und insbesondere dem Christus in S. Mariasopra
Minerva nachgebildet erscheint, so muß darauf hingewiesen werden,
daß das Cinquecento zwischen Michelangelo und der Antike wohl einen
Grad- aber keinen Artunterschied sah, und daß ihm gerade der Minerva-
christus als ein Prototyp antikischer Gestaltung galt; was sich dokumen-
tarisch dadurch beweisen läßt, daß ein Antikenfälscher des 16. Jahrhun-
derts den Aufbau einer pseudogriechischen Reliefkomposition, deren
Hauptgruppe anscheinend attischen Grabstelen nachgebildet ist, durch
keine besseren Füllfiguren bereichern zu können glaubte als durch den
Florentiner David und eben den Christus von S. M. sopra Minerva — beide
freilich ergänzt und „verschönt“ durch das wehende Tuch, gleichsam
das Beglaubigungsmittel wahrer „Klassizität“ (Abb. 26).1)

Giovanni Stradano hat also — auch hierin ganz ein Manierist, denn
auch Bronzino ist zugleich, wenn man so will, nicht nur ein „gotischerer“,
sondern auch ein „klassizistischerer“ Künstler als Raffael2) — das Schema
der „Ovide moralise "-Illustrationen nur wieder hervorgeholt, um es mit
echt antiker Bildanschauung zu erfüllen, j a gerade er scheint, wie wir sahen,
der erste gewesen zu sein, der hinsichtlich des „Signum triciput“ auf die
genuin-antike Bildung zurückgreift; allein er hat gerade dadurch gezeigt,
daß diese antike Bildanschauung ihm geistig irgendwie fremder geworden

1) Vgl. L. Planiscig, Venetianische Bildhauer der Renaissance, 1921, Abb. 347.
Planiscig hat die Übernahme des David bereits angemerkt, nicht aber die des Christus
in S. Maria sopra Minerva. Seine Datierung des Reliefs (1505/10) muß sich also um min-
destens 10—15 Jahre nach unten verschieben.

2) Vgl. B. Schweitzer in Mitt. d. dtsch. archäol. Inst., röm. Abtlg. XXXIII, 1918,
S- 45ff-
 
Annotationen