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Raffaels ,,Traum des Ritters“

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gesichts eines zu Anfang des Cinquecento entstandenen Bildes eine von
diesem Typus so völlig abweichende Jünglingsgestalt ohne weiteres als
„Hercules“ ansprechen könnte. Einem einigermaßen „fortschrittlichen“
Künstler dieser Epoche wäre es kaum mehr statthaft erschienen, den
Heros ohne alle mythologischen Attribute und in der Gewandung eines
einfachen römischen Kriegers darzustellen (daher denn auch der älteste Be-
schreiber des Gemäldes, dem dessen wahre Bedeutung nicht mehr bekannt
war, nichts anderes darin zu sehen vermochte, als einen „soldato che giace
dormendo alla campagna“)x); ein „rückständiger“ Maler aber hätte zwar
kein Bedenken getragen, auch einen Hercules im Sinne des spätmittel-
alterlichen „Trachtenrealismus“ als zeitgenössischen Ritter erscheinen
zu lassen (vgl. Textabb. 2 und Abb. 35)* 1 2), — allein dann hätte er ihn
eben wirklich zeitgenössisch stilisiert, anstatt bis in die Einzelheiten
der Bewaffnung hinein den Charakter des Klassisch-Antiken zu wahren:
der jugendliche Held des raffaelischen Bildes ist sozusagen zu wenig
mythologisch für einen Hercules „alTantica“, und gleich-
wohl zu antik für einen Hercules „alla francese“.

So ist es verständlich, wenn man das kleine Kunstwerk weniger als
eine wirkliche Darstellung, denn als eine „romantische Abwand-
lung“ des Hercules-Themas zu betrachten geneigt ist.3) Und auch die an
und für sich sehr aufschlußreiche Entdeckung, daß es mit einer seit 1497
ungeheuer verbreiteten deutschen Holzschnittkomposition weit-
gehend genug übereinstimmt, um die Annahme eines unmittelbaren Ein-
flusses zu rechtfertigen4), vermochte so lange nicht zu einer wirklichen
Klärung zu führen, als man sich einer Untersuchung der hierdurch auf-
geworfenen Probleme überhoben fühlte. — Die Darstellung der „Con-
certatio Virtutis cum Voluptate“, um die es sich handelt (Abb. 30), ist
erstmalig in der am 1. März 1497 erschienenen Editio princeps der ,, Stul-
tiferaNavis“ (H. 3746) ans Licht getreten, — jener von Jacob Locher
(„Philomusus“) besorgten lateinischen Bearbeitung des Brantschen
Narrenschiffs, die alsbald in fast allen Kulturländern nachgedruckt und
in fast alle Kultursprachen übersetzt wurde: ein ziemlich roher Holz-
schnitt, der gleich zwei kleineren, die beiden Frauengestalten in genre-

Pseudoantike Literatur des Mittelalters (Studien der Bibi. Warburg Bd. XIII), 1927,
S. 8 ff. Zum Parisurteil vgl. unten S. 59 ff. und S. 99 ff.

1) Jacopo Manilli, Villa Borghese, 1650, S. in.

2) Um auch ein weniger bekanntes Stück abzubilden, ist dem Holzschnitt des fran-
zösischen „Ovide moralise“ von 1484 ein Blatt aus der Wiener Handschrift des,,Livre du
fort Hercules“ (franz. um 1430) hinzugesellt worden: Cod.Vindob. 2586, fol. 31 r.

3) G. Gronau, Raffael, Klassiker der Kunst, 5. Aufl. 1922, S. 2x8. Schubring a. a. O.
S. 535 und Escher a. a. O. haben freilich von einem solchen Vorbehalt abgesehen.

4) R. de Maulde la Claviöre, Gaz. des Beaux-Arts, III. P6r., Bd. XVII, 1897, I,
S. 21 ff. mit Abbildung des Nachschnittes aus der Pariser französischen Ausgabe von 1497.
 
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