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Bildeinfluß und Texteinfluß in Raffaels ,.Traum des Ritters" 8l

gemein-menschlichen Trefflichkeit darstellt, als eine Virago, die ein ein-
seitig kriegerisches Ideal verkörpert: ihre Ermahnungen beziehen sich
nur auf militärische Heldentaten, ihre Versprechungen nur auf Sieg und
glänzende Triumphe (wie umgekehrt die Silianische Voluptas vor allem
die Befreiung von den Strapazen des Kriegsdienstes verspricht), und
nur die unbestechliche Gerechtigkeit vervollständigt für diesen Römer
das Idealbild des „Tugendhaften“. Nun ist zwar auch Raffaels „Tugend“
durch das geflissentlich betonte Schwert als eine kriegerische bezeich-
net, allein die allzu harten Züge der „Virtus Siliana“ — das rauhe,
ungeordnete Haar und die fast männliche Erscheinung in Antlitz und
Gang — sind abgemildert, und in der Linken hält sie ein Buch, das in
diesem Zusammenhang natürlich nicht als Bibel oder Gebetbuch, sondern
nur als Gegenbild der „arma“, d.h. als Symbol der „literae“, verstanden
werden kann. So erscheint denn die „Virtus“ des Raffael dem rein
militärischen Ideal des Römers gegenüber doch einigermaßen „huma-
nisiert“, vergleichbar der Sophokleischen Athene, die nicht nur die
Tugenden des Krieges, sondern auch die geistige Arbeit des Friedens ver-
körperte1); nicht lange, und wir werden die „Tugend“ und das „Laster“
der Prodikosfabel ausdrücklich in Pallas und Venus zurückverwandelt
sehen.2) Und nun stellt sich heraus, daß eben diese Humanisierung der
„Virtus“, die sich in Raffaels Gemälde vollzieht, auch schon in Jacob
Lochers Dichtung eingetreten war. Der „Philomusus“, dem es nur durch
engen Anschluß an die Schilderung des Silius gelungen war, die Vorstel-
lung der „Virtus“ über das Enge und Dumpfe des nordisch-spätmittel-
alterlichen Tugendbegriffes emporzuheben, hat doch in Einem dem Römer
die Gefolgschaft versagt: er konnte es, bei aller nachempfundenen Begei-
sterung für kriegerisches Heldentum, nicht unterlassen, dem Triumph des
Feldherrn und den Erfolgen des Staatsmannes den sanften Ruhm des
geistig schöpferischen Menschen neben-, ja überzuordnen:

„Sive velis jamam ingenio sectarier almam,

Armisonaeve velis volvere signa deae,

Seu res civiles merito tractare favore:

Haec animo infracto (me duce) cuncta facis.“

Und unter den Exempeln einer Tugend, die eben doch nicht ganz eine
„Römertugend“ ist, erscheinen neben Cäsar, Alexander, Aemilius Paulus
und selbstverständlich Hercules, auch Cicero,Virgil, Aristoteles und Platon.

So erleben wir das seltsame Schauspiel, daß ein italienischer Künstler
die Bildprägung geschaffen hat für eine Tugendvorstellung, die ein deut-

1) Vgl. oben S. 44.

2) Von bildlichen Darstellungen vgl. unsere Abb. 54, 56, 60, 62, 81—-84, 90, 93.
Einige hierhergehörige Bühnenspiele sind auf S. 85 erwähnt.

Studien der Bibliothek Warburg 18. Heft: Panofsky

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