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Hercules Prodicius

teres im Sinn der zweiten Möglichkeit entscheidet.1) Denn „Arvianotors“
Dichtung ist ja zweifellos ein Theaterstück, das sich vielleicht als eine
Mischung aus Pantomime und Singspiel bezeichnen ließe; und gehen wir
das Ganze unter diesem Gesichtspunkte noch einmal durch, so ordnen sich
die Kompositionsanweisungen zu einer recht logischen Folge von Bühnen-
geschehnissen, ja es ergibt sich, daß gerade diese scheinbar nur „ver-
bindenden“ Texte es sind, die — alles andere als bloße Zutaten des Über-
setzers — vielmehr das eigentliche Corpus der Dichtung darstellen: in
ihnen spinnt sich der Handlungsfaden ab, auf den die einzelnen Reden
und Gesangsstücke perlengleich aufgereiht sind:

A. Prolog (siehe oben).

B. Das eigentliche Herculesspiel.

Bildbeschreibung I: beim Auf gehen des Vorhangs sieht man Hercules,
von „Somnus“ eingeschläfert, mit den drei Parzen, aber noch ohne
„Virtus“ und „Voluptas“.

Bildbeschreibung II: Erscheinung der „Virtus“ und „Voluptas“ mit
ihren Attributen.

Bildbeschreibung III: Hercules gewahrt im Traum zunächst nur die
„Wollust“; er hört ihren verführerischen Gesang und sodann die
Gegenrede der „Tugend“.

Bildbeschreibung IV: Hercules sieht, immer noch träumend, den un-
verhinderten Aufstieg der „Tugend“ und das Brauen des „Neides“
(der sich natürlich erst nach dem Siege der „Tugend“ betätigen
kann).

Bildbeschreibung V: Hercules erwacht und beschließt, im vollen
Waffenschmuck der „Tugend“ nachzufolgen (eine echt bühnenmäßige
Aktivierung des bloßen Sich-Entscheidens). Schlußmonolog des Her-
cules.

Bildbeschreibung VI: Hercules wird als selig Verklärter („mit ent-
decktem Haubt, niederhängenden Harlocken“) den Musen, Nymphen
usw. zugeführt. Aufforderung des „Paranymphus“, den Helden zu
feiern.

Bildbeschreibung VII: Die Verherrlichung des Hercules durch den
großen Schlußchor der Musen, unter Assistenz Apollos und der drei
Grazien.

Ein weiterer Beweis für die Zugehörigkeit der „Bildbeschreibungen'' zum „Arvia-
notor'‘-Text liegt im Sprachlichen: man spürt überall die Übersetzung aus dem Lateinischen,
und beispielsweise eine Wendung wie „welche der Neyd vnterwurfft Hassung“ (S. 89)
ist nur aus dem lat. ,,odio subicere aliquam rem“ (vgl. etwa Cicero, De oratore I, 46, 202)
zu erklären, ebenso der Umstand, daß Schwenter ebendort den „Neid“ ursprünglich als
Femininum faßte (Invidia).
 
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