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Hercules Prodicius

Rhythmus hat Annibale Carracci als erster in einer Darstellung der
Herculeswahl zum Erklingen gebracht* 1); und das begründete den neuen
Zauber seines Bildes. Gewiß hat er das alte Thema mit allen Mitteln sei-
ner modernen Harmonik instrumentiert, den Hercules (der stärkeren
Raumwirkung und zugleich der deutlicheren Bezeichnung des „ambigere“
zuliebe) in Vorderansicht genommen2), die leise Axendifferenz der beiden
Seitenfiguren zu einem Kontrast zwischen Front- und Rückenfigur ver-
stärkt, die Bewegungen der Einzelgestalten zu kraftvoll ausgreifender
Kontrapostik gesteigert und durch dies alles das ,,stille Ineinander tief
ergriffener Seelen“ in eine Szene voll starker dramatischer Spannung ver-
wandelt: allein der Grundgedanke ist erhalten geblieben (auch in dem
charakteristischen Dreieck der Köpfe) und um so deutlicher zum Aus-
druck gelangt, als die Verbindung skulpturaler Modellierung mit absolu-
ter „Vordergründigkeit“ — die Füße der Frauen berühren fast die untere
Rahmenlinie — dem Bilde eine Relief Wirkung sichert, die nie zuvor
in diesem Grade angestrebt worden war, und die die Ähnlichkeit mit jenen
antiken Dreifiguren-Kompositionen noch stärker hervortreten läßt,—ganz
abgesehen von der Einzelheit, daß Hercules zum erstenmal auf einem
Felsen unter einem Baume sitzt, der die genaue Mittelachse des Bildes
bezeichnet.3) Wenn es tatsächlich nur Zufall war, daß der Restaurator
des späten 18. Jahrhunderts die linke Hesperide sowohl in bezug auf
das Armmotiv als in bezug auf den Gewandgestus der „Virtus“ des
Farnesebildes angeähnelt hat, so hätte dieser Zufall die Funktion
gehabt, einen verborgenen Sinnzusammenhang nachträglich gleichsam
manifest zu machen.

pheusrelief und das Medearelief des Lateran an, in weiterem Abstand die Aussendung
des Triptolemos aus Eleusis. Bei diesen Stücken nimmt freilich eine stehende Gestalt das
Zentrum ein, die aber in den beiden letztgenannten Fällen so bewegt bzw. so proportio-
niert ist, daß fast dieselbe Gesamt-Konstellation erreicht wird wie im Hesperidenrelief
und in der Theseus-Peirithoos-Tafel.

1) In anderem Zusammenhang ist die Komposition der Dreifigurenreliefs anscheinend
schon ziemlich früh von Einfluß gewesen; vgl. etwa die Mantegneske Zeichnung „Mars
zwischen Diana und Venus“ (London, Brit. Mus.. Abb. u. a. bei P. Kristeller, A. Man-
tegna 1902, S. 389).

2) Der Typus der antiken Drei-Figuren-Reliefs ist doch wohl so zu erklären, daß zu
der kanonischen Zweiergruppe der Grabstelen (der sitzende Verstorbene mit dem stehen-
den Hinterbliebenen) eine dritte Gestalt recht eigentlich „hinzutritt“. Diese dritte Gestalt
bleibt daher stets trotz ihrer größeren räumlichen Nähe zur Mittelfigur die psychisch mehr
außerhalb stehende, und man sieht, wie schon der Peirithoos des Torloniareliefs ein wenig
mehr mit ihr Fühlung sucht als der Hercules der Hesperidenkomposition. Annibale Car-
racci hat also mit seiner Frontalisierung der Mittelfigur einen schon in der Antike sich vor-
bereitenden Prozeß gleichsam ex post zu Ende geführt.

3) Gerade auf dem römischen Exemplar des Hesperidenreliefs ist ja der Baum hinter
Hercules vorhanden, während er auf dem Leningrader fehlt und wahrscheinlich auch dem
Originale fremd war.
 
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