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Der ,,Hercules“-Stich Albrecht Dürers

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einer ab wartenden Haltung begnügen darf, aber auf alle Fälle zu ihrer
Unterstützung bereit ist; und wie bei Chelidonius — der, wie wir uns
bei dieser Gelegenheit erinnern mögen, die lateinischen Verse zu beiden
Holzschnittpassionen und zum Marienleben gedichtet hat — könnte die
„Virtus“ auch hier von ihm sagen:

,,Alda steet mein zeug Hercules,

Ein starcker held der tugent gmes,

Der sol mein that an diesen orten
Mit werck bezeugen, nit mit Worten.“1)

Sein vieldiskutiertes Bewegungsmotiv aber — das weder ein Schlagen
noch ein Parieren ist, denn Hercules steht viel zu weit im Vordergründe,
als daß sein erhobener Knotenstock den Keulenschlag der „Tugend“ auf-
fangen könnte — ist nichts als eine aus dem Tragemotiv der Pollaiuolo-
figur entwickelte Bereitschaftsgeste, die sich recht gut mit einem
Passus aus „Arvianotors“ Herculesdrama vereinigen läßt „Hot er
seine waffen angetho, mit aufgesetztem Helm, der gerechten hant seinen
triknodigen kolben getragen, der Tugent geender nachgeuolgt.“2)

So hat es Dürer verstanden, die heterogenen Elemente zu einer höchst
originellen Darstellung der Prodikeischen Herculesfabel zusammenzu-
fügen; und wenn die Deutung noch einer weiteren Stütze bedürfte, so
läge diese in der Tatsache, daß sich der Kupferstich, bei sonst so strenger
Bindung an die italienischen Vorbilder, in einem entscheidenden Punkt
von ihnen entfernt hat: bei beiden weiblichen Figuren ist die
Haartracht verändert, und zwar in dem Sinne, daß die schlagende
Mänade der Orpheuszeichnung den schlichten Scheitel und das eigen-
tümlich geknotete Kopf tuch der Friulaner Bäuerinnen erhielt3), während
die ruhende Nymphe der Mantegnapause (bzw. des Mark-Anton-Stichs
B. 319) anstelle ihrer wehenden Locken mit künstlich geflochtenen
Zöpfen versehen wurde (vgl. Abb. 105 und 106). Unnötig zu sagen, daß
diese doppelte und sicher nicht zufällige Veränderung nichts anderes be-
zweckt, als die Verdeutlichung jenes Gegensatzes, den wir in allen Dar-
stellungen des Streites zwischen „Tugend“ und „Laster“, ja schon in dem
Entscheidungsbild der Haager Aristoteles - Handschrift vom Jahre 1376
(Abb. 100) veranschaulicht fanden: des Gegensatzes zwischen den schlich-
ten und womöglich durch ein Kopftuch verhüllten Haaren der „Virtus“
und den „capelli con artificio inannellati“ der „Voluptas“.

1) So in Hans Sachsens Übersetzung Bd. III, S. 16. Im Original (fol. b. 5 r):

„Alcides mihi testis adest fortissimus Heros,

Ille meam factis causam, non uoce, probato.“

2) Vgl. oben S. 90.

3) Vgl. die Zeichnung L. 458, deren Beziehung zu unserer Figur von J. Meder,
Jahrb. A. K. H. XXXI, 1911/12, S. 208/9 festgestellt wurde.
 
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