[Kapitel s] Verdichtung: Strindbergs Ich im alchemistischen Bild-Labor
5. Verschmelzung zur
»Materia Strindbergiana<
Anhand dieser dargestellten Querverbindungen ist klargeworden, daß
Strindbergs Bildprozeß mit parallel ablaufenden >Partnerprozessen< untrenn-
bar verbunden ist. Der Strindberg des Antibarbarus ist der gleiche aus In den
äußersten Schären, nur in einem anderen Medium.66 Seine Projekte sind alle
Teile eines großen Projekts mit vielen Facetten, die in Strindbergs Selbst und
seiner Auseinandersetzung mit ihm wurzeln. Da Strindberg das Verhältnis
zwischen Natur und Ego in seiner Malerei behandelt und das gleiche Thema
auch »wissenschaftlich« untersucht, haben seine Erkenntnisse auf letzterem
Gebiet erstens einen Einfluß auf seinen Bildprozeß und können zweitens auch
Erklärungen für ihn liefern. Als Kunstkritiker hatte Strindberg gefordert, der
Künstler müsse Naturwissenschaft studieren, um die Landschaft und die Luft
richtig wiederzugeben: Botanik und Optik seien unentbehrlich und würden
als Hilfsmittel die Kunst verbessern.67 Er selbst bleibt darin konsequent, auch
wenn das, was Strindberg Naturwissenschaft nennt, sich von außen betrachtet
gewandelt hat und alchemistischer geworden ist.
Voneinander trennbar sind Strindbergs Vorhaben spätestens seit den
neunziger Jahren nicht mehr. Sie sind zu Teilen einer »mythenschaffenden
Poesie« geworden, die Kosmos, Diesseits, Jenseits, Historie, Psyche, Mythos
und Selbsterneuerung als Einheit eines andauernden Prozesses begreift
und in diesem Sinne völlig unwissenschaftlich ist, weil Strindberg sie nicht
analysiert, sondern zu einer poetischen Lösung des Welträtsels synthetisiert
(wie das Gold). Es ging Strindberg nicht darum, eine absolute Wahrheit zu
finden, sondern eine zu (er-)finden, die es ihm ermöglichte, mit diesem
großen Chaos namens Natur zurechtzukommen, dem er sich gegenüberge-
stellt und in das er sich eingebunden sah.68 Ohne seinen visuellen Impuls
hätten dabei weder die Photographie noch die Malerei eine solch tragende
Rolle als bildhaft-gestalterische Umsetzung und gleichzeitig konstitutiver Teil
seines psycho-alchemistischen Prozesses bekommen. Ohne seinen dynami-
schen Impuls wäre die Idee der ständigen Transmutationen weitaus schlechter
erklärbar. Ohne seinen realistischen Forscher-Impuls hätte das Projekt nicht
die Energie zur Durchführung erhalten. Ohne seinen moralischen Impuls
hätte es bei einem rein ästhetischen Prozeß bleiben können, der nichts mit
der Frage der Ich-Findung zu tun gehabt hätte. Gleichzeitig sorgt sein roman-
86
5. Verschmelzung zur
»Materia Strindbergiana<
Anhand dieser dargestellten Querverbindungen ist klargeworden, daß
Strindbergs Bildprozeß mit parallel ablaufenden >Partnerprozessen< untrenn-
bar verbunden ist. Der Strindberg des Antibarbarus ist der gleiche aus In den
äußersten Schären, nur in einem anderen Medium.66 Seine Projekte sind alle
Teile eines großen Projekts mit vielen Facetten, die in Strindbergs Selbst und
seiner Auseinandersetzung mit ihm wurzeln. Da Strindberg das Verhältnis
zwischen Natur und Ego in seiner Malerei behandelt und das gleiche Thema
auch »wissenschaftlich« untersucht, haben seine Erkenntnisse auf letzterem
Gebiet erstens einen Einfluß auf seinen Bildprozeß und können zweitens auch
Erklärungen für ihn liefern. Als Kunstkritiker hatte Strindberg gefordert, der
Künstler müsse Naturwissenschaft studieren, um die Landschaft und die Luft
richtig wiederzugeben: Botanik und Optik seien unentbehrlich und würden
als Hilfsmittel die Kunst verbessern.67 Er selbst bleibt darin konsequent, auch
wenn das, was Strindberg Naturwissenschaft nennt, sich von außen betrachtet
gewandelt hat und alchemistischer geworden ist.
Voneinander trennbar sind Strindbergs Vorhaben spätestens seit den
neunziger Jahren nicht mehr. Sie sind zu Teilen einer »mythenschaffenden
Poesie« geworden, die Kosmos, Diesseits, Jenseits, Historie, Psyche, Mythos
und Selbsterneuerung als Einheit eines andauernden Prozesses begreift
und in diesem Sinne völlig unwissenschaftlich ist, weil Strindberg sie nicht
analysiert, sondern zu einer poetischen Lösung des Welträtsels synthetisiert
(wie das Gold). Es ging Strindberg nicht darum, eine absolute Wahrheit zu
finden, sondern eine zu (er-)finden, die es ihm ermöglichte, mit diesem
großen Chaos namens Natur zurechtzukommen, dem er sich gegenüberge-
stellt und in das er sich eingebunden sah.68 Ohne seinen visuellen Impuls
hätten dabei weder die Photographie noch die Malerei eine solch tragende
Rolle als bildhaft-gestalterische Umsetzung und gleichzeitig konstitutiver Teil
seines psycho-alchemistischen Prozesses bekommen. Ohne seinen dynami-
schen Impuls wäre die Idee der ständigen Transmutationen weitaus schlechter
erklärbar. Ohne seinen realistischen Forscher-Impuls hätte das Projekt nicht
die Energie zur Durchführung erhalten. Ohne seinen moralischen Impuls
hätte es bei einem rein ästhetischen Prozeß bleiben können, der nichts mit
der Frage der Ich-Findung zu tun gehabt hätte. Gleichzeitig sorgt sein roman-
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