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Verein Historisches Museum der Pfalz [Hrsg.]; Historischer Verein der Pfalz [Hrsg.]
Pfälzisches Museum: Monatsschrift d. Historischen Vereins der Pfalz und des Vereins Historisches Museum der Pfalz — 1.1884

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Nr. 4 (15. April 1884)
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https://doi.org/10.11588/diglit.29786#0040
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Aus „Jetta."
„Jetta" betitlest sich der neueste historische Rennau von George
T aylor, ein Pseudonym, unter ivelchem sich bekanntlich der Name eines
wohlbekannten Heidelberger Professors verbirgt. Jetta spielt wie
Dahn's „Bissnla" in der letzten Zeit des römischen Reiches, als Ende
des 4. Iahrhnnderts der Stern der Römer Herrs eh ast zu erbleichen
begann und der Morgen für das Auftreten einer neuen Epoche der
Weltgeschichte anbrach für die Erscheinung der germanischen
Völkerschaften. Der Stoff zu Jetta ist dem römischen Alltor
Ammianus Marcellin ns entnommen fvgl. besonders list. XXVIII
63p. IIs> >md schildert am Gestade des Mittclrheins zu Füßen des
Bühls, der dieser sagenhaften letzten Römerin zu Ehren „Jettenbühl"
genannt ward, das Geschick der Tochter des Arator, der ans diesem
Platze, dem Orte, wo spater das Heidelberger Schloß sich erhob, eine
schmncke Villa besaß. Der Sohn eines Alamannenkölligs, Rvthari
ist ihr Geliebter und ihr Gatte. Letzterer nnd sein Söhnchen erliegen
der Rache der Römer nnd ihres Augustus Valentinianns, der mit feiner
Gemahlin Jnstina damals zu Alta Ripa-^Altrip residierte. Jetta ver-
treiben die von christlichen Priestern anfgehetzten Alamannen ans ihrem
Asyle: auch sie erliegt am Neckar ihrem blutigen Geschicke. — Ans dem
farbenreichen Bilde, das zum Hindergrnnde gerade nufere pfälzischen
Landschaften besitzt, theilen wir im Folgelldcn mit frellndlicher Erlallbniß des
Autors zwei Seenen unseren Lesern mit. Die erste spielt am rechten
Rheinnfer zu Füßen des mems IMP des Hciligenberges bei Heidel-
berg, die zweite am linken User zu Alta Ripa im Kaiserpalaste.
I.
Am Morgen wurde es früh laut in Arator's Villa. Man brachte
auf einer Bahre Lnpicinus herbei, der im Walde in der Nähe des
Wartthurms von streifenden Soldaten endlich aufgefunden worden war.
Der junge Krieger war bei vollem Bewußtsein. Der Schlag des
alamannifchen Kölligs hatte ihn mehr betäubt als tiefer verletzt, ob-
wohl häßliche Klumpen geronnenen Blutes in seinem blonden Haare
klebten. Bereits hatte er Arator ein unumwundenes Geständnis abge-
legt und war zur Pflege in dessen Villa znrückgebracht worden. Von
feinem Schlafgemache hörte Rothari die tiefe, tröstende Stimme Jetta's,
die um den Verwundeten beschäftigt war nnd die heiseren Flüstertöne
ihrer alten Amme. Rasch sprang er ans und durch eine Oeffnnng
des Vorhangs sah er mit Entzücken, wie Jetta dem Verwundeten anf's
lieblichste znsprach. Währelid die alte Phorkyas ihm seine Wunde ans-
ivnfch und verband, kniete das schöne Mädchen bei der Bahre, hielt
dem Verwundeten die schmerzlich zuckende Hand nnd tröstete ihn so
hold, daß er unter Schmerzen schwach zu lächeln versuchte. Seine
Furcht vor strenger Strafe, der er entgegengehe, wußte sie scherzend
wegzutrosten. Sie werde bei Arator nnd nötigenfalls bei dem Au-
gustus selbst sich verwenden, sagte sie, kein Haar solle ihm gekrümmt
werden. Müsse er aber zur Strafe an den Schanzen von Alta Ripa
bauen, so würde sie ihn täglich besuchen. Als Phorkyas mit ihrem
Verbände sertig war, wurde der Verwundete nach seiner Wohnung
gebracht, wohin die Frauen ihm folgten. Rothari hatte es nun mit
eigenen Allgell vor sich gesehen, warum das ganze Lager Arator's
holte Tochter vergötterte und jeder einzelne Mann, wie mail ihm
erzählt hatte, für Jetta dnrch's Feuer gehen würde.
Nach einer Begegnung mit der Wunderbaren dürstend trat der
Germane in den Garten hinaus, um ihrer zu warteu. Glänzend
lachte die Maiensonne über den Wäldern, deren verborgenes Getier
diese Nacht durch Hörnerklang und Fackelschein in seiner nächtlichen
Ruhe gestört worden war. Ans der Ebene schwangen sich zahllose
Lerchen auf, die ins Blau verloren ihren tirilirenden Sang ertönen
ließen iil der gleichen Sprache, die ihr Geschlecht vor Jahrtausenden
verstanden nnd nach Jahrtausenden noch verstehen wird, während der
Menschen wandelbare Art in jedem Jahrhundert in neuen Lauten redet.
Unter dem Steine, den ihm Jetta bezeichnet, fand Rothari ein kleines,
rnndgefchnittenes Blatt; er las es, lächelte nnd drückte es an seine
Lippen. Aber auf die holde Zauberin selbst wartete er vergeblich.
Er mußte schließlich anfbrechen, nm mit den andern Führern den
Kaiser zu begrüßen. Bon der würzigen Morgenluft erfrischt und froh
erregt von dem Meere des Lichts, das der Himmel auf ihn hcrabgoß,

sprengte cr sorglos dem Richter entgegen, dem er Rechenschaft geben
sollte über sein gestriges Verhalten. Das Lager war einige hundert
Schritte unter dem Thalansgange errichtet, damit es nicht von den
Bergen überhöht werde nnd bildete ein längliches Viereck. Ein breiter
Doppelgraben umgab die von einem Erdwall verkleideten Manern nnd
Zinnen, von denen hier und dort der Helm einer Wache oder die
Spitze eines Pilnin hernieder funkelte. Die rothen Vexilla flatterten
im Morgenwinde nnd das Feldzeichen der Cohorte, ein goldenes
Stierbild, strahlte ans.Her Höhe des festen Thors. Die Porta prinei-
palis passirend, befand sich Rothari in dem Soldatenqnartier und ritt
längs den Soldatenhütten, die mit Stroh oder Rasen bedeckt waren.
Im Innern dieser Hütten standen ringsum die Schlasbänke nnd in der
Mitte ein Fenerheerd, den massive Steinblöcke umfaßten. Die Straße
entlang reitend, gelangte der Germane zu dem Prätvrinm. Dem statt-
lichen Gebäude war ein großer gedeckter Vorplatz vorgestoßen, der als
Exerzierhans diente. Drinnen klirrten die Waffen nnd man hörte, wie
die Wurfgeschosse und die kurzen bleibeschwerten Pfeile ans den Scheiben
anfschlngen. Von dem Centnrio, der die Hebungen leitete, erfuhr
Rothari, daß die hohen Offiziere sich beim Vorwerk jenseits der Brücke
versammelten, um dem Augustus bis Alta Ripa entgegen zu reiten.
Während er hier an der Kreuzung der Straßen mit dem Untergebenen
verhandelte, ergötzte sich das sinnige Auge des Germaueu an dem
reizenden Ausblick, den die Lagerthore umrahmten. Vorwärts und
rückwärts schaute man ans die Brücke und die bürgerlichen Nieder-
lassungen des Mons Piri, zu Rechten nnd Linken in das blaue Thal
des Nicer und hinaus in die grüne Ebene, die in der schön geschnittenen
Rundung der roten Sandsteinthore sich gar freundlich ausnahmen.
Den westlichen Teil des Lagers, die Retentura mit ihren Ma-
gazinen zur Seite lassend, ritt Rothari an der Fleischerei, dem Zieh-
brunnen, der Küche nnd andern Wirtschaftsgebäuden vorüber zur
Brücke. Auf der Mitte derselben bei der Neptnnskapelle, harrten
feine germanischen Gefolgsleute ihres Herrn nnd von ihnen geleitet,
ritt der Königssohn nach dem Vorwerk, wo die übrigen Führer hielten.
Gratian sprengte herbei und reichte dem Freunde die Hand. Auch
Arator nnd Syagrins gesellten sich zu der Gruppe und nun jagte der
ganze Trupp auf der Straße nach Alta Ripa dahin, dem Augustus
entgegen. Bon den Insassen der beiden Dörfer, des Viensnovns auf
dem rechten und des Pagus der Nemeter auf dem linken Ufer des
Nicer, war heute keiner zuhause geblieben. In zerstreuten dichten
Gruppen lagerten sie vor dem Thore des Vorwerks, das der Angustns
zuerst passiren mußte. Die Sonne stieg nnd brannte mit heißen
Strahlen auf die Blütenbäumc nnd die wachsende Saat. Die Wachen
auf dem westlichen Thore des Lagers schauten schars in der Richtung
nach dem Rhenus. Endlich wirbelte Staub auf der Hochstraße. In
bequemem Schritt kam ein ansehnlicher Reiterzng. Rothari's Germanen
nnd eine Schaar von berittenen Batavern unter dem Gardetribunen
Balchobandes ritten weit voran. Dann kamen die beiden Angnsti,
Vater nnd Sohn, nnd hinter ihnen in ehrerbietiger Entfernung Arator,
Rothari nnd der kleine Syagrins, der sich zu Pferde seltsam ausnahm.
Ein größeres Geschwader von Panzerreitern im gleißenden Schuppen-
harnisch schloß den Zug.
„Heil, deni Angustns Heil," riefen die Dorfbewohner, als die
Reiter dem Vorwerke nahten. „Dem Vater nnd Sohne Heil!" Aber
kaum nncr dieser Ruf verklungen, so erschallte plötzlich mitten ans dem
Haufen eine Helle Stimme; „Dem wesensgleichen Gotte, Vater, Sohn
nnd Geist sei Ehre, nicht den Menschen." Alles schaute betroffen um,
nur Valentinian that, als ob er nichts gehört hätte, nnd ritt ruhig
weiter. Aber Rothari's scharfes Ange erspähte den kühnen Rufer.
Er gewahrte einen bleichen Jüngling, der mit wirrem blondem Haupte
von der festlich geschmückten Menge merklich abstach. Sein zerfetzter
Mantel verrietst den Cyniker oder Anachoreten, doch war es Rothari,
als ob er diesen jungen Menschen kenne. „Wer bist du, daß du den
Augustus beleidigst?" rief er dem Jüngling zu, indem er sein Pferd
auf ihn znlenkte und die Streitaxt erhob, so daß rechts und links die
erschreckten Zuschauer auseinanderstänbten. Aber der Knabe trat ihm
näher und sprach: „Vulfilaich, Badomar's Sohn, dein Bruder!"
Eine böse Falte legte sich um Rothari's Stirne, aber er ließ die
Streitaxt fallen, riß sein Pferd herum nnd sprengte den Andern nach.
Rasch flüsterte er Gratian einige Worte zn, dann kehrte er zn Vnlfi-
laich zurück. Die Menge war eilig dem glänzenden Schauspiele nach-
 
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