findet sich auch das Adjektiv incorruptus - bezeichneten das bislang unbe-
kannte Ideal einer stilistischen Reinheit nach klassischem Vorbild: «Ich
glaube freilich, daß man auf die Reinheit der lateinischen Sprache achten
muß und sie nicht durch griechische oder barbarische Diktion besudeln
darf«.15'’ Als unmittelbare Folge dieses neu erworbenen philologisch-stili-
stischen Unterscheidungsvermögens begann man nun genauer zwischen
verschiedenen Stufen und der historischen Abfolge des Lateins zu unter-
scheiden: einer archaischen, Goldenen, Silbernen, spätantiken und mittel-
alterlichen Latinität.1’’6
Freilich betrieb kaum ein Gelehrter so früh und konsequent die Suche
nach dieser puritas wie der Florentiner Niccolö Niccoli, der später mit
Donatello befreundet sein sollte (s. Kap. V.l). Ernst H. Gombrich hat als
erster die Bedeutung Niccolis für die neue Vorstellung von all’antica
erkannt. Diesen Humanisten kann man als den Begründer der beiden Dis-
ziplinen der Philologie und Archäologie bezeichnen.1'’7 Selbst dem Stolz
seiner Vaterstadt, den tre corone Dante, Petrarca, Boccaccio, hielt er uner-
bittlich ihr fehlerhaftes Latein vor, und zog seinerseits entlegenste Inschrif-
ten heran, um die korrekte Schreibweise bestimmter Worte zu eruieren.
Niccolis Perfektionswahn verhinderte, daß er selbst irgendeinen längeren
Text zu Papier brachte, so daß wir auf indirekte Zeugnisse über ihn ange-
wiesen sind. Nach Ausweis dieser Quellen beschäftigte sich Niccoli im
Unterschied zu seinen Humanistenkollegen nicht ausschließlich mit Lite-
ratur. Er konnte seine Lektüre nur dann wirklich goutieren, wenn auch die
Form der Schriftzeichen dem Inhalt entsprach. Philologischer Scharfsinn,
der die klassischen Texte von jeder Korruption emendierte, und die Sensi-
bilisierung für anschauliche Formen, für den Stil all’antica, gingen Hand
ut plane et dilucide, tum et ornate, post ad rerum dignitatem apte et quasi decore«; gemeint
ist stets die »idiomatisch korrekte Ausdrucksweise« (Lausberg 1973, § 463). Vgl. die ent-
sprechende Deutung Poggio Bracciolinis der Cicero-Zitate (1449, nach Tavoni 1984,
245 u. 250) mit dem einen Unterschied, daß jetzt die idiomatisch korrekte Ausdrucksweise
auf diejenige zur Zeit des klassischen Lateins festgelegt ist. - Insgesamt Jozef Ijsewijn, »Mit-
telalterliches Latein und Humanistenlatein«, in: Die Rezeption der Antike. Zum Problem der
Kontinuität zwischen Mittelalter und Renaissance, hg. August Buck, Hamburg 1981,71-83.
Iv> Bruni, Epistolae, lib. X, 24, 215-217: »Ego autem puritatem latini sermonis
observandam censeo, neque coinquinandem grecis aut barbaris dictionibus.«
,-’6 Siehe oben Anm. 149.
•' So schon Poggios Leichenrede auf den Freund (Poggio, Opera, Bd. 1, 273): »Tu
inprimis viam ad humanitatis studia ostendisti, tu iter ad veram eloquentiam demonstrasti«;
dann Vespasiano, Vite, Bd.2, 225-242. - Zu Niccoli s. zuletzt mit der älteren Literatur
Stadter 1984 (wie Anm. 132), 747-764; Quint 1985; Martin C. Davies, »An emperor with-
out clothes? Niccolö Niccoli under attack«, in: Italia medioevale e umanistica, 30 (1987),
95-148.
4. All’antica oder der Beginn von Philologie und Archäologie 93
kannte Ideal einer stilistischen Reinheit nach klassischem Vorbild: «Ich
glaube freilich, daß man auf die Reinheit der lateinischen Sprache achten
muß und sie nicht durch griechische oder barbarische Diktion besudeln
darf«.15'’ Als unmittelbare Folge dieses neu erworbenen philologisch-stili-
stischen Unterscheidungsvermögens begann man nun genauer zwischen
verschiedenen Stufen und der historischen Abfolge des Lateins zu unter-
scheiden: einer archaischen, Goldenen, Silbernen, spätantiken und mittel-
alterlichen Latinität.1’’6
Freilich betrieb kaum ein Gelehrter so früh und konsequent die Suche
nach dieser puritas wie der Florentiner Niccolö Niccoli, der später mit
Donatello befreundet sein sollte (s. Kap. V.l). Ernst H. Gombrich hat als
erster die Bedeutung Niccolis für die neue Vorstellung von all’antica
erkannt. Diesen Humanisten kann man als den Begründer der beiden Dis-
ziplinen der Philologie und Archäologie bezeichnen.1'’7 Selbst dem Stolz
seiner Vaterstadt, den tre corone Dante, Petrarca, Boccaccio, hielt er uner-
bittlich ihr fehlerhaftes Latein vor, und zog seinerseits entlegenste Inschrif-
ten heran, um die korrekte Schreibweise bestimmter Worte zu eruieren.
Niccolis Perfektionswahn verhinderte, daß er selbst irgendeinen längeren
Text zu Papier brachte, so daß wir auf indirekte Zeugnisse über ihn ange-
wiesen sind. Nach Ausweis dieser Quellen beschäftigte sich Niccoli im
Unterschied zu seinen Humanistenkollegen nicht ausschließlich mit Lite-
ratur. Er konnte seine Lektüre nur dann wirklich goutieren, wenn auch die
Form der Schriftzeichen dem Inhalt entsprach. Philologischer Scharfsinn,
der die klassischen Texte von jeder Korruption emendierte, und die Sensi-
bilisierung für anschauliche Formen, für den Stil all’antica, gingen Hand
ut plane et dilucide, tum et ornate, post ad rerum dignitatem apte et quasi decore«; gemeint
ist stets die »idiomatisch korrekte Ausdrucksweise« (Lausberg 1973, § 463). Vgl. die ent-
sprechende Deutung Poggio Bracciolinis der Cicero-Zitate (1449, nach Tavoni 1984,
245 u. 250) mit dem einen Unterschied, daß jetzt die idiomatisch korrekte Ausdrucksweise
auf diejenige zur Zeit des klassischen Lateins festgelegt ist. - Insgesamt Jozef Ijsewijn, »Mit-
telalterliches Latein und Humanistenlatein«, in: Die Rezeption der Antike. Zum Problem der
Kontinuität zwischen Mittelalter und Renaissance, hg. August Buck, Hamburg 1981,71-83.
Iv> Bruni, Epistolae, lib. X, 24, 215-217: »Ego autem puritatem latini sermonis
observandam censeo, neque coinquinandem grecis aut barbaris dictionibus.«
,-’6 Siehe oben Anm. 149.
•' So schon Poggios Leichenrede auf den Freund (Poggio, Opera, Bd. 1, 273): »Tu
inprimis viam ad humanitatis studia ostendisti, tu iter ad veram eloquentiam demonstrasti«;
dann Vespasiano, Vite, Bd.2, 225-242. - Zu Niccoli s. zuletzt mit der älteren Literatur
Stadter 1984 (wie Anm. 132), 747-764; Quint 1985; Martin C. Davies, »An emperor with-
out clothes? Niccolö Niccoli under attack«, in: Italia medioevale e umanistica, 30 (1987),
95-148.
4. All’antica oder der Beginn von Philologie und Archäologie 93