Was gewinnen wir nun aus der Zusammenschau dieser Quellen für Do-
natellos hölzernen Johannes? Er mußte beim Betrachter allein schon durch
seinen Werkstoff Adjektive wie »einfach*, »bescheiden* und »tugendhaft* evo-
zieren, wie sie einem Asketen ja in jeder Hinsicht anstanden. Das Werk hätte
mit Sicherheit keine eitle Augenfreude (delectatio oder cupiditas spectandi)
hervorgerufen, die den Betrachter von der eigentlichen Bedeutung abgelenkt
hätte. Und eine Art idolatrischer Anbetung wäre zumindest erschwert gewe-
sen. Vallas Übernahme der Augustinischen Argumentation wird für die fol-
gende Deutung noch wichtig werden: Legitimierte sie doch in letzter Kon-
sequenz jede noch so einfache und kunstlose, ja geradezu häßliche Art der
Darstellung, sofern sie sich nur auf die christliche Heilswahrheit bezog -
hier sei es bei dieser ersten Andeutung belassen. Donatello schien freilich die
einseitige Betonung dieser humilitas des Täufers nicht genug, wo blieb der
Hinweis auf den »heiligsten Menschen* nach Christus? Im Prinzip stellte sich
ihm dieselbe Schwierigkeit, der dann auch Avogadro mir seinem goldver-
kleideten Kruzifix begegnen sollte. Und Donatello wählte eine ähnlich am-
bivalente Lösung, indem er dem Prediger aus der Wüste einen goldenen
Mantel um die Schultern und über sein Kamelfell legte: »auro involutus«.69 70
Nur daß Donatello den Vorwurf der Täuschung nicht zu fürchten hatte,
war doch das eigentliche Wesen des Asketen selbst unter dem prächtigen
Überwurf immer noch in aller Deutlichkeit zu erkennen.
3. Funktion und Legitimität einer christlichen Kunst
»Mauere« - Die Synthese der mittelalterlichen und klassischen Tradition
Seit Bonaventura und Thomas von Aquin um die Mitte des 13. Jhs. die
Bedeutung christlicher Kunstwerke definiert hatten, stand deren dreifache
Funktion unumstößlich fest:
1. Bilder können für die Leseunkundigen (zumindest in gewissem Maße)
die Stelle von Büchern übernehmen (lihri laicorum; ad instructionem
rudium). Das Argument stammt bekanntlich aus einem Brief Gregors des
Großen.
69 Augustinus, De civitate Dei, 11, 18 (vgl. auch 1 1,23), und De vera religione, 40, 76:
»Sicut niger in pictura cum toto fit pulcher«. - Vgl. etwa Alexander von Haies: »Sicut pic-
tura cum colore nigro in suo loco posito congruit, ita universitas rerum cum peccatoribus
pulchra est« (nach de Bruyne, Bd.3, 109-117, hier 112).
70 Allerdings hätte ein Venezianer angesichts des goldenen Mantels auch an eine sin-
guläre Ikonographie denken können, wie sie ein Mosaik im Baptisterium von S. Marco aus
dem frühen Trecento vorführt: Johannes erhält dieses Kleidungsstück (nicht das Kamelfell!)
von einem Engel, daher das Gold (dazu Aronberg Lavin 1955/1961, hier 1961, 321f.).
454 VII. Die »Wahrheit* der christlichen Kunst
natellos hölzernen Johannes? Er mußte beim Betrachter allein schon durch
seinen Werkstoff Adjektive wie »einfach*, »bescheiden* und »tugendhaft* evo-
zieren, wie sie einem Asketen ja in jeder Hinsicht anstanden. Das Werk hätte
mit Sicherheit keine eitle Augenfreude (delectatio oder cupiditas spectandi)
hervorgerufen, die den Betrachter von der eigentlichen Bedeutung abgelenkt
hätte. Und eine Art idolatrischer Anbetung wäre zumindest erschwert gewe-
sen. Vallas Übernahme der Augustinischen Argumentation wird für die fol-
gende Deutung noch wichtig werden: Legitimierte sie doch in letzter Kon-
sequenz jede noch so einfache und kunstlose, ja geradezu häßliche Art der
Darstellung, sofern sie sich nur auf die christliche Heilswahrheit bezog -
hier sei es bei dieser ersten Andeutung belassen. Donatello schien freilich die
einseitige Betonung dieser humilitas des Täufers nicht genug, wo blieb der
Hinweis auf den »heiligsten Menschen* nach Christus? Im Prinzip stellte sich
ihm dieselbe Schwierigkeit, der dann auch Avogadro mir seinem goldver-
kleideten Kruzifix begegnen sollte. Und Donatello wählte eine ähnlich am-
bivalente Lösung, indem er dem Prediger aus der Wüste einen goldenen
Mantel um die Schultern und über sein Kamelfell legte: »auro involutus«.69 70
Nur daß Donatello den Vorwurf der Täuschung nicht zu fürchten hatte,
war doch das eigentliche Wesen des Asketen selbst unter dem prächtigen
Überwurf immer noch in aller Deutlichkeit zu erkennen.
3. Funktion und Legitimität einer christlichen Kunst
»Mauere« - Die Synthese der mittelalterlichen und klassischen Tradition
Seit Bonaventura und Thomas von Aquin um die Mitte des 13. Jhs. die
Bedeutung christlicher Kunstwerke definiert hatten, stand deren dreifache
Funktion unumstößlich fest:
1. Bilder können für die Leseunkundigen (zumindest in gewissem Maße)
die Stelle von Büchern übernehmen (lihri laicorum; ad instructionem
rudium). Das Argument stammt bekanntlich aus einem Brief Gregors des
Großen.
69 Augustinus, De civitate Dei, 11, 18 (vgl. auch 1 1,23), und De vera religione, 40, 76:
»Sicut niger in pictura cum toto fit pulcher«. - Vgl. etwa Alexander von Haies: »Sicut pic-
tura cum colore nigro in suo loco posito congruit, ita universitas rerum cum peccatoribus
pulchra est« (nach de Bruyne, Bd.3, 109-117, hier 112).
70 Allerdings hätte ein Venezianer angesichts des goldenen Mantels auch an eine sin-
guläre Ikonographie denken können, wie sie ein Mosaik im Baptisterium von S. Marco aus
dem frühen Trecento vorführt: Johannes erhält dieses Kleidungsstück (nicht das Kamelfell!)
von einem Engel, daher das Gold (dazu Aronberg Lavin 1955/1961, hier 1961, 321f.).
454 VII. Die »Wahrheit* der christlichen Kunst