diesen Bußprozeß dadurch, daß die im Leben so stolzen Sünder nun unter
der Last schwerer Steine gebeugt einhergehen. Ihr nach unten gerichteter
Blick fällt dabei auf drei in die marmorne Wand gehauene Reliefs, die ihnen
Beispiele herausragender Demut vor Augen führen (Abb.73). Den Büßern
dienten die skulptierten Bilder als Meditationshilfen, die sie über das Wesen
der Demut belehren und zur Nachahmung anspornen sollten. Sie erfüllten
also exemplarisch die seit Gregor d. Gr. festgeschriebenen Funktionen christ-
licher Kunst: docere und movere.171 An erster Stelle der Exempla erscheint
die Verkündigung an Maria, gefolgt vom Tanz Davids vor der Bundeslade
und der sog. »Gerechtigkeit des Trajan*, einer Legende, laut welcher der Kai-
ser trotz des drängenden Aufbruchs zum Krieg einer Witwe ihr Recht zu-
sprach - also je ein Ereignis aus der heidnischen Antike, dem Alten und
Neuen Testament:
Lässu non eran mossi i pie nostri
an co,
Quand’io conobbi quella ripa
intorno,
Ghe dritto di salita aveva manco,
Esser di marmo candido e adorno
D’intagli s'i, ehe non pur Policleto,
Ma la natura li avrebbe scorno.
L’angel ehe venne in terra col
decreto
Della molt’anni lagrimata pace,
Wir waren droben noch nicht
fortgeschritten,
Als ich erkannte, daß die ganze
Runde,
Die nirgends einen Aufstieg uns
gewährte,
Aus blendend weißem Marmor
und gezieret
Mit Bildern so, daß nicht nur
Polikletus,
Auch die Natur sich davor
schämen müßte.
Der Engel, der herabstieg mit der
Kunde
Von jenem jahrelang ersehnten
Frieden,
prie excellentie«, mit Verweis auf Gregor, Moralia, 3 1,45 (PL 76, Sp. 620L); s. L. K. Little,
»Pride goes before avarice: social change and the vices in Latin Christendom«, in: The
American Historical Review, 76 (1971), 16-49.
1/1 Zur Funktion und Bedeutung der Reliefs sowohl für die Büßer als auch als künst-
lerisches Mittel der Selbstreflektion des Dichters Atchity 1976; Nancy J. Vickers, »Seeing
is believing: Gregory, Trajan, and Dante’s art«, in: Dante Studies, 101 (1983), 67-85; Teo-
dolinda Barolini, »Re-presenting what God presented: the arachnean art of Dante’s terrace
of pride«, in: Dante Studies, 195 (1987), 43-62; Marianne Shapiro, »Ecphrasis in Vergil
and Dante«, in: Coniparative Literature, 42 (1990), 97-115; Heffernan 1993, 37-45;
Land 1994, 56-64. - Zu den Illustrationen dieser Werke Peter Brieger, Millard Meiss und
Charles S. Singleton, Illuminated Mannscripts of the Divine Comedy (Bollingen Series
LXXXI), 2 Bde., Princeton 1969, Bd. 1, 69f„ 107 u. 165f.
4. Die Cavalcanti-Verkündigung in S. Croce 249
der Last schwerer Steine gebeugt einhergehen. Ihr nach unten gerichteter
Blick fällt dabei auf drei in die marmorne Wand gehauene Reliefs, die ihnen
Beispiele herausragender Demut vor Augen führen (Abb.73). Den Büßern
dienten die skulptierten Bilder als Meditationshilfen, die sie über das Wesen
der Demut belehren und zur Nachahmung anspornen sollten. Sie erfüllten
also exemplarisch die seit Gregor d. Gr. festgeschriebenen Funktionen christ-
licher Kunst: docere und movere.171 An erster Stelle der Exempla erscheint
die Verkündigung an Maria, gefolgt vom Tanz Davids vor der Bundeslade
und der sog. »Gerechtigkeit des Trajan*, einer Legende, laut welcher der Kai-
ser trotz des drängenden Aufbruchs zum Krieg einer Witwe ihr Recht zu-
sprach - also je ein Ereignis aus der heidnischen Antike, dem Alten und
Neuen Testament:
Lässu non eran mossi i pie nostri
an co,
Quand’io conobbi quella ripa
intorno,
Ghe dritto di salita aveva manco,
Esser di marmo candido e adorno
D’intagli s'i, ehe non pur Policleto,
Ma la natura li avrebbe scorno.
L’angel ehe venne in terra col
decreto
Della molt’anni lagrimata pace,
Wir waren droben noch nicht
fortgeschritten,
Als ich erkannte, daß die ganze
Runde,
Die nirgends einen Aufstieg uns
gewährte,
Aus blendend weißem Marmor
und gezieret
Mit Bildern so, daß nicht nur
Polikletus,
Auch die Natur sich davor
schämen müßte.
Der Engel, der herabstieg mit der
Kunde
Von jenem jahrelang ersehnten
Frieden,
prie excellentie«, mit Verweis auf Gregor, Moralia, 3 1,45 (PL 76, Sp. 620L); s. L. K. Little,
»Pride goes before avarice: social change and the vices in Latin Christendom«, in: The
American Historical Review, 76 (1971), 16-49.
1/1 Zur Funktion und Bedeutung der Reliefs sowohl für die Büßer als auch als künst-
lerisches Mittel der Selbstreflektion des Dichters Atchity 1976; Nancy J. Vickers, »Seeing
is believing: Gregory, Trajan, and Dante’s art«, in: Dante Studies, 101 (1983), 67-85; Teo-
dolinda Barolini, »Re-presenting what God presented: the arachnean art of Dante’s terrace
of pride«, in: Dante Studies, 195 (1987), 43-62; Marianne Shapiro, »Ecphrasis in Vergil
and Dante«, in: Coniparative Literature, 42 (1990), 97-115; Heffernan 1993, 37-45;
Land 1994, 56-64. - Zu den Illustrationen dieser Werke Peter Brieger, Millard Meiss und
Charles S. Singleton, Illuminated Mannscripts of the Divine Comedy (Bollingen Series
LXXXI), 2 Bde., Princeton 1969, Bd. 1, 69f„ 107 u. 165f.
4. Die Cavalcanti-Verkündigung in S. Croce 249