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Brandt, Annalena [Hrsg.]; Hefele, Franz [Hrsg.]; Lehner, Hanna [Hrsg.]; Pfisterer, Ulrich [Hrsg.]
Pantheon und Boulevard: Künstler in Porträtserien des 19. Jahrhunderts, Druckgrafik und Fotografie — Passau: Dietmar Klinger Verlag, 2021

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Essays
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Kitschen, Friederike: Künstlerbildnisse in populärwissenschaftlichen Buchserien des 19. Jahrhunderts- drei Länder, drei Funktionen, drei Traditionen
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https://doi.org/10.11588/diglit.70035#0100
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Künstlerbildnisse in populärwissenschaftlichen Buchserien des 19. Jahrhunderts

der Frauenwelt" gewesen sei.24 Die damit im Text verknüpften Anspielungen waren
aber nicht nur biografische Anekdoten, die das Laienpublikum für den Maler inte-
ressieren sollten. Denn Eggers argumentierte, dass die „Geschichte des Herzens" wie-
derum die Kunstwerke näherbringe, da diese ja „von dem zum Herzen gehörenden
Geiste" ausgingen.25
Andere Autoren relativierten die Idee des Künstlerporträts als weitgehend un-
vermitteltes Dokument, insbesondere durch den kritischen Vergleich mit schriftlichen
Quellen. Bei Michelangelo wies Lübke fast entschuldigend darauf hin, dass der laut
Überlieferung im Wesen milde und liebenswürdige Meister im gezeigten Bildnis
streng, fast abstoßend erscheine. Doch dies läge wohl daran, „dass seine Zeitgenossen
das Gewaltige, ja Furchtbare (terribile) seiner Werke auch auf seine Person" übertragen
hätten.26 Zu Tizians Berliner Selbstporträt stellte er fest, dass sich der Maler dort
trotz seines greisen Alters in ungebrochener Urkraft und Energie als Künstler darge-
stellt habe. Den Charakter des Menschen Tizian schilderte er daneben anhand schrift-
licher Zeugnisse.27 Auch Waagen und Hotho gingen nicht mehr von einer objektiven
Porträtaufnahme vor dem Spiegel aus, sondern betonten den Charakter der Selbst-
porträts als künstlerische Selbstdarstellungen und eigenständige Kunstwerke. Sie
nahmen keine psychologisierende Deutung vor, sondern, zumindest ansatzweise,
eine kunstwissenschaftliche Einordnung. Waagen fand zwar in Leonardos Bildnis
durchaus die in den Quellen gerühmte „mächtige großartige Persönlichkeit", beschrieb
aber auch die Farbgebung und den Erhaltungszustand des Gemäldes, das er als weit-
gereister Kenner im Original gesehen hatte.28 Hotho erörterte nicht nur ausführlich
die malerische Qualität von Dürers Münchner Selbstbildnis, sondern wies seine Le-
serschaft auch explizit auf den an Christusdarstellungen orientierten Selbstentwurf
hin.29 Zudem setzte er eine bezeichnende Umgruppierung der Abbildungen durch.
Das Künstlerbildnis fand man nicht auf Tafel eins, wie bei Murillo und Rembrandt,
oder am Ende der Alben auf Tafel zehn, wie bei Raffael, Tizian, Leonardo, Michelangelo,
van Dyck und dem ungeliebten Correggio. Alle 22 Abbildungen des Dürer-Albums
wurden zwischen die Textseiten eingebunden und das Selbstporträt von 1500 nach
Seite 42 in das Narrativ von Epochenschilderung, Biografie und Werkentwicklung
eingeordnet. Wenig später sollte auch Waagen diese Form für sein Rubens-Album
übernehmen, die laut Woltmann „erste kritische Biografie" des Malers.30 Nur bei
Alfred Woltmanns Hans Holbein der Jüngere von 1865 figuriert das Bildnis auf dem
Titelblatt. Schauer bzw. Adolf Menzels Bruder Richard, der den Verlag 1864 über-
nommen hatte, reproduzierte hier die Fotografie einer in Basel aufbewahrten Zeich-
nung, die man seinerzeit für ein Selbstporträt hielt.31
Gustav Schauers Kunsthistorischer Cyclus war ein ganz neues Medium der Popu-
larisierung von Kunstgeschichte, das der Verleger im Dialog mit seinen Autoren ent-
wickelte und modifizierte. Trotz der unterschiedlichen Deutungsansätze in den Texten
legten sie alle großen Wert darauf, dass den ,absolut treuen' Fotografien ,wahrhaft
adäquate' Stiche nach möglichst eigenhändigen Selbstporträts zugrunde lagen. Bei
deren Auswahl bewiesen sie, basierend auf einer kritischen Diskussion anderer über-
lieferter Porträts in den Bildkommentaren, kunstwissenschaftlichen Sachverstand.

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