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Schluss: Für eine andere Rechtsgeschichte

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Corbie und Reims.23 Die Tatsache, dass darin in den meisten Fällen die Lex Salica
an den Anfang eines Rechtskompendiums gestellt und der lange Prolog signi-
fikant häufig abgeschrieben wurde, zeigt die symbolische Bedeutung des frän-
kischen Rechtsbuchs in dieser Zeit an.
Daneben erreichte im 10. Jahrhundert die Anzahl der Verweise auf das
fränkische Rechtsbuch in den nicht-königlichen Urkunden einen Höhepunkt. 24
Urkunden sind bekannt, die auf die eine oder andere Weise auf die Lex Salica
verweisen.24 Dass die überwiegende Mehrzahl aus Burgund und aus dem Süden
des Westfrankenreichs stammt, hängt zum Teil mit der außergewöhnlichen
Uberlieferungssituation in Cluny, zum anderen auch mit der höheren Schrift-
kultur in diesen Regionen zusammen. Der Norden ist aber immerhin durch zwei
Urkunden aus dem Vexin und aus dem (lothringischen) Saulnois repräsentiert.25
Die bisherige Forschung hat diese Zeugnisse für unerheblich erachtet, weil in
allen Fällen nicht auf eine präzise Stelle im Text der Lex Salica verwiesen wird.26
Wie ich bereits mehrfach festgestellt habe, wird dadurch zwar die fehlende
Verknüpfung von Rechtsbüchern und Urkundenkultur bezeugt - ganz irrele-
vant sind solche Verweise aber trotzdem nicht. Sie demonstrieren, dass auch
unabhängig vom Desinteresse des Königtums die fränkische Identität weiterhin
mit dem Bekenntnis zur Lex Salica gleichgesetzt wurde. Ohne die Kenntnis des
Rechtsbuchs gleichen Namens hätten diese Verweise keine Wirkung entfalten
können. Der Eigensinn der Franken setzte sich auch nach 900 fort.
Die symbolische Bedeutung der Lex Salica überlebte also die Krise des ka-
rolingischen Königtums, so wie sie bereits den Zerfall der merowingischen Kö-
nigsherrschaft überlebte. Ein spätes Zeugnis für ihre kulturelle Bedeutung
überliefert der Historiker Otto von Freising im 12. Jahrhundert, der behauptet,
dass der hohe Adel der Franken auch noch in seiner Zeit die Lex Salica benutzen
würde.27 Der Name des Königsgeschlechts der Salier, der damals entstand, er-
innert ebenfalls an die Bedeutung des fränkischen Rechtsbuchs für die Identität
der nobilissimi Francorum.28 Das Rechtsbuch wurde Teil des kulturellen Ge-
dächtnisses.

23 Berlin, SPK, Phill. 1736 (E16); Bern, 442 (K22); Mäcon: Paris, lat. 4626 (K31); Paris, lat. 4760 (K34);
St-Denis: Paris, lat. 4628 A (K35); Fecamp: Paris, lat. 3182 (K40); Besancon, 1348 (K48); Reims:
Paris, lat. 4789 (K51); Corbie: London, Egerton 2832 (K52); London, Add. 22398 (K53). Zur
Überlieferung in dieser Zeit vgl. auch Hartmann, Kirche und Kirchenrecht, S. 94-96.

24 Ich beziehe mich auf die Zusammenstellungen von Mayer-Homberg, Volksrechte, S. 25-38; Balon,
Les prolongements (mit Vorsicht zu benutzen); ders., Andelangus, S. 39-43; Kienast, Studien, S. 151-
159. Zu Italien: Hlawitschka, Franken, S. 15.

25 Histoire generale de Metz IV/1, S. 70, und Guerard, Cartulaire I, S. 88, Nr. 5.

26 Nehlsen, Aktualität, S. 476-478; Wormald, The Making, S. 70-92.

27 Otto von Freising, Chronica IV, 32, S. 224: Ab hoc Salagasto legem, quae ex nomine eins salica usque
hodie vocatur, inventam dicunt. Hac nobilissimi Francorum, qui salici dicuntur, adhuc utuntur. Vgl.
auch Gottfried von Viterbo, Pantheon, S. 301: ... qua lege salica usque hodie usi sunt Franci. Im
Westfrankenreich hat dagegen Aimoin von Fleury bereits im 10. Jahrhundert die Geschichte von
der Niederschrift der Lex Salica, die ihm aus dem Liber historiae Francorum bekannt war, aus seiner
Frankengeschichte getilgt: Aimoin, Historia Francorum I, 4, Sp. 640.

28 Schieffer, Salier.
 
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