Carlos Grethe: Heimweh. Ölbild (Große IZ5:77 om).
arlos Grethe.
„Sic waren ihrer fünf beisammen, mächtig ge-
baute Burschen, in einer Art von düsterem Ge-
laß, das nach Salzlake und Seewasser roch. Der
Raum, zu niedrig für ihren Wuchs, verengerte sich am
einen Ende; er schwankte ein wenig mit einem mono-
tonen klagenden Geräusch, ganz langsam wie im Traum.
Draußen, da mußte die See sein und die Nacht-
die unermeßliche Ode der tiefen, schwarzen Gewässer."
Die schönen Sätze, mit denen Pierre Loti seinen
Zslandfischer beginnt, fielen mir unwillkürlich ein, als
ich zum erstenmal das Bild sah, dessen Reproduktion
über diesem kurzen Aufsatz steht. Es ist ein merk-
würdiges Bild, in aller Einfachheit ausfallend. Der
Kopf deS jungen Matrosen, der zu den Klängen seiner
Ziehharmonika die einfachen Worte eines plattdeutschen
Fischerliedeö singt, ist ganz eingetaucht in ein glühendes
Rot, das den groben Stoff hinter ihm färbt und sich
aus seinen Wangen widerspiegelt, die von der Hänge-
lampe hell beleuchtet sind. Und dieses Rot, welches
das eine Antlitz des Musikanten umlodert, während seine
Hörer im Schatten versinken, verleiht der Stimmung
des Bildes etwas von der Glut verhaltener Leidenschaft.
Das Bild ist mehr als etwas Gesehenes, es ist ein
Erlebnis. — Wenn ich cs mit den Worten eines Dichters
verglich — obwohl heutzutage jegliche Berührung zwischen
Malerei und Literatur streng verpönt ist — so geschah
es, weil ich aus dem Grunde beider Kunstschöpfungen
verwandte Stimmungen wahrzunehmen glaubte. Es
wäre ja leicht möglich, daß ein und dasselbe Erlebnis
den Dichter zu einem Roman und den Maler zu einem
Bilde begeisterte — vorausgesetzt, daß beide Künstler
sind. Nicht das Faktum ist wichtig, wenn von Kämst
die Rede ist; es bleibt immer vieldeutig und an sich
genommen überhaupt gleichgültig. Wichtig ist nur, wie
es aus die Phantasie wirkt. „Gefühl ist alles" heißt
es, wohlverstanden, auch in der Kunst. Loti und Grethe
haben zum mindesten dus genieinsam, daß sie beide zu
den besten Schildercrn der See gehören.
Wenn einer, der die See nicht kennt, die Maler darum
fragen wollte, wie sie aussähc, so müßte er schließlich vor-
lauter Widersprüchen Ohren und Augen verschließen. Der
eine schildert sie ihm pathetisch als den Kampfplatz göttlicher
Gewalten; dem andern scheint sie nicht mehr zu sein
als eine solide Heringslieferantin; dieser malt sie als das
geheimnisvolle unermeßliche Grenzgebiet der bewohnten
Welt; jener porträtiert sie gelassen vom Promenaden-
deck eines Doppelschraubendampsers aus, wie der Tourist
der eine Kodakausnahme macht, ohne sich weiter etwas
dabei zu denken. Nur das eine haben die allermeisten
dieser Schilderer gemeinsam, daß sie die See aus irgend
einer Ferne nut den Augen deö Fremden betrachten.
Der Vorzug der Minderheit, zu der unsere beiden Meister,
der Dichter und der Künstler, zählen, bericht dagegen
unter andcrm auch daraus, daß sie die See mit den
Augen des Seemanns anschauen, aus der Nähe, liebe-
voll, als ihr vertrautes Element.
Carlos Grethe steht fest aus dem schwanken Deck
eines kleinen Fischerkuttcrö. Er würde auch mit ansassen
und ein Segel bedienen können, wenn einmal Not an
den Mann käme. Er kennt und liebt die See in allen
Wandlungen ihres launenhaften Antlitzes; er liebt und
versteht auch alles, was zu ihr gehört, Menschen und
Menschenwerk, die Fischer und Matrosen, die opulenten
Ozeandampfer und die ärmlichen Küstcnsegler. Und
wenn es ihm aus hoher See wohl ist, wo ihn die kühle
Salzbrise umweht, so gefällt es ihm doch auch im Hafen
mit seiner dunstigen, von Kohlenrauch und Schmieröl-
düften beladenen Atmosphäre. Seit lange schon gehört
sein Herz der See, vielleicht schon seit den Kinderjahren,
seitdem er als kleiner Knabe mit den Eltern die erste
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arlos Grethe.
„Sic waren ihrer fünf beisammen, mächtig ge-
baute Burschen, in einer Art von düsterem Ge-
laß, das nach Salzlake und Seewasser roch. Der
Raum, zu niedrig für ihren Wuchs, verengerte sich am
einen Ende; er schwankte ein wenig mit einem mono-
tonen klagenden Geräusch, ganz langsam wie im Traum.
Draußen, da mußte die See sein und die Nacht-
die unermeßliche Ode der tiefen, schwarzen Gewässer."
Die schönen Sätze, mit denen Pierre Loti seinen
Zslandfischer beginnt, fielen mir unwillkürlich ein, als
ich zum erstenmal das Bild sah, dessen Reproduktion
über diesem kurzen Aufsatz steht. Es ist ein merk-
würdiges Bild, in aller Einfachheit ausfallend. Der
Kopf deS jungen Matrosen, der zu den Klängen seiner
Ziehharmonika die einfachen Worte eines plattdeutschen
Fischerliedeö singt, ist ganz eingetaucht in ein glühendes
Rot, das den groben Stoff hinter ihm färbt und sich
aus seinen Wangen widerspiegelt, die von der Hänge-
lampe hell beleuchtet sind. Und dieses Rot, welches
das eine Antlitz des Musikanten umlodert, während seine
Hörer im Schatten versinken, verleiht der Stimmung
des Bildes etwas von der Glut verhaltener Leidenschaft.
Das Bild ist mehr als etwas Gesehenes, es ist ein
Erlebnis. — Wenn ich cs mit den Worten eines Dichters
verglich — obwohl heutzutage jegliche Berührung zwischen
Malerei und Literatur streng verpönt ist — so geschah
es, weil ich aus dem Grunde beider Kunstschöpfungen
verwandte Stimmungen wahrzunehmen glaubte. Es
wäre ja leicht möglich, daß ein und dasselbe Erlebnis
den Dichter zu einem Roman und den Maler zu einem
Bilde begeisterte — vorausgesetzt, daß beide Künstler
sind. Nicht das Faktum ist wichtig, wenn von Kämst
die Rede ist; es bleibt immer vieldeutig und an sich
genommen überhaupt gleichgültig. Wichtig ist nur, wie
es aus die Phantasie wirkt. „Gefühl ist alles" heißt
es, wohlverstanden, auch in der Kunst. Loti und Grethe
haben zum mindesten dus genieinsam, daß sie beide zu
den besten Schildercrn der See gehören.
Wenn einer, der die See nicht kennt, die Maler darum
fragen wollte, wie sie aussähc, so müßte er schließlich vor-
lauter Widersprüchen Ohren und Augen verschließen. Der
eine schildert sie ihm pathetisch als den Kampfplatz göttlicher
Gewalten; dem andern scheint sie nicht mehr zu sein
als eine solide Heringslieferantin; dieser malt sie als das
geheimnisvolle unermeßliche Grenzgebiet der bewohnten
Welt; jener porträtiert sie gelassen vom Promenaden-
deck eines Doppelschraubendampsers aus, wie der Tourist
der eine Kodakausnahme macht, ohne sich weiter etwas
dabei zu denken. Nur das eine haben die allermeisten
dieser Schilderer gemeinsam, daß sie die See aus irgend
einer Ferne nut den Augen deö Fremden betrachten.
Der Vorzug der Minderheit, zu der unsere beiden Meister,
der Dichter und der Künstler, zählen, bericht dagegen
unter andcrm auch daraus, daß sie die See mit den
Augen des Seemanns anschauen, aus der Nähe, liebe-
voll, als ihr vertrautes Element.
Carlos Grethe steht fest aus dem schwanken Deck
eines kleinen Fischerkuttcrö. Er würde auch mit ansassen
und ein Segel bedienen können, wenn einmal Not an
den Mann käme. Er kennt und liebt die See in allen
Wandlungen ihres launenhaften Antlitzes; er liebt und
versteht auch alles, was zu ihr gehört, Menschen und
Menschenwerk, die Fischer und Matrosen, die opulenten
Ozeandampfer und die ärmlichen Küstcnsegler. Und
wenn es ihm aus hoher See wohl ist, wo ihn die kühle
Salzbrise umweht, so gefällt es ihm doch auch im Hafen
mit seiner dunstigen, von Kohlenrauch und Schmieröl-
düften beladenen Atmosphäre. Seit lange schon gehört
sein Herz der See, vielleicht schon seit den Kinderjahren,
seitdem er als kleiner Knabe mit den Eltern die erste
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