Leonhardt: Gartenhaus. (Neue Baukunst in Frankfurt.)
P
alma Vecchios „Ruhende
Nymphen" im Stüdelschen Kunst-
institut zu Frankfurt a. Main.
Seit wenigen Wochen erst ist das Bild von Palma
Vecchio, welches kürzlich für den Stadel erworben wurde,
bekannt. Es war bis zu seiner Entdeckung in einer
kleinen englischen Sammlung versteckt, und es ist bis-
her nicht gelungen, seine Spuren weiter rückwärts mit
Sicherheit zu verfolgen. Daö Bild ist aber von solcher
Eigenart und Schönheit, daß seine Bekanntschaft für
jeden Kunstfreund eine wesentliche Bereicherung seines
künstlerischen Vorstellens und Wissens bedeuten wird.
Und auch der, der Palma kennt und weiß, was seine
Kunst bedeutet, lernt hier den Meister von einer Seite
kennen, die in keinem zweiten Werke seiner Hand so
bewußt und mit solcher Wirkung wieder angeschlagen
ist. Es ist eins jener ersten profanen Gemälde, die
der venezianischen Kunst am Beginn der Hochrenaissance
eigen sind, die von einem Lcbcnsgesühl getragen sind,
das wir mit Recht als neuzeitlich bezeichnen, in denen
Mensch und Natur zum erstenmal gleichwertig zu-
sammen gesehen sind und als ebenbürtige Träger
malerischer Werte sich zu Werken von eigenartigstem
Stimmungsgehalt vereinigen. Eö ist der Zauberkreis
Giorgioncs, unter dessen Banne der junge Palma dieses
Bild schuf, als er ebenso wie Tizian - sein Alters- und
Studiengcnossc — von der Kunst dieser fast mythischen
Persönlichkeit am entscheidendsten beeinflußt war.
Palma Vecchio ist besonders berühmt als Maler
weiblicher Schönheiten und einer bestimmten Gattung
von Andachtsbildern. Zn diesen stellt er regelmäßig die
heiligen Gestalten in einem ruhigen Beisammensein
dar — in einer Landschaft hingclagert, ohne bemerkens-
werte Aktion oder Charakteristik — aber volle, reife,
lebenskräftige Gestalten, die in einer flüchtigen schönen
Stunde zu stiller Beschaulichkeit sich zusammengesundcn
haben. DaS Zusammentreffen der sinnlich-körperlichen
Entfaltung in den Gestalten, der satten Pracht der
Natur in der Landschaft mit dein wcltabgerückten,
aktionslosen Charakter der Stimmung gibt diesen Bildern
ihren größten suggestiven Reiz. Neben diesem neuen
Typus des religiösen Bildes, der bis in daö 19. Jahr-
hundert immer wieder von Künstlern der verschiedensten
Art ausgegriffen und nachgcahmt wurde, ist Palma der
Schöpfer jener berühmten weiblichen Jdcalbildnissc, die
in halber Figur oder im Brustbild eine schöne Frau,
modcllmäßig oder idealisiert, in reichen: Gesellschafts-
oder Phanlasiekostüm, gelegentlich mit einer allegorischen
oder mythologischen Nebenbedeutung, verewigt haben.
Zn dem Frankfurter Bilde vereinigen sich gleichsam die
beiden stärksten Seilen der Begabung Palmas: die Dar-
stellung weiblicher Schönheit und das stimmungsvolle
Zusammenleben von Mensch und Natur.
Am Ufer eines still fließenden Wassers auf einer
blumigen, hochbcwachscnen Wiese lagern zwei nackte
Mädchen im Schatten eines dichten Gebüsches — Helle,
vollcntwickclte Frauenkörpcr, die aus der dunklen, aus
grün und braun gestimmten Landschaft herauslcuchten.
Zm Hintergrund zu den Seiten dcö Gebüsches links ein
Ausblick aus das Meer, rechts aus bergige Fernen.
Darüber blauer Himmel mit abendlich gefärbten Streif-
wolken.
Der moderne Beschauer wird zunächst meinen, hier
einen: „StimmungSbildc" von freier poetischer Er-
findung gegcnübcrzustehcn — etwa nach Art von Böck-
linS pantheistischen Bildergedichten. Aber die venezia-
nische Kunst der Renaissance war in anderer Weise an
den Bildinhalt gebunden, als das 19. und 2O. Jahr-
hundert, und auch ihren freiesten Schöpfungen wohnt
stets ein bestimmter Darstellungsstoff inne. Freilich
sank diese Kunst niemals zu einer bloß illustrativen
Darstcllungswcise herab, sondern sie rückt ihre Vorwürfe
so naiv und frei in die Sphäre der rein künstlerischen
Anschauung, daß cS ost ungemein schwer ist, den eigent-
lichen DarstcllungSstoff zu erkennen. So wird gewiß
auch die Deutung des Frankfurter Bildes noch manches
Kopfzerbrechen verursachen. Aber die einzige Deutung,
die eö bisher gesunden hat — durch Rudolf Schrcy —
ist so einleuchtend, daß sie wohl akzeptiert werden kann.
Die beiden Frauen aus dem Bilde erscheinen in einer
bestimmten psychischen Beziehung zueinander dargestellt:
die linke, liegende, hat in ihrem Blick und der Be-
wegung ihres Körpers etwas Werbendes, Begehrendes —
die rechte, sitzende dagegen etwas Abwartendes, Zurück-
haltendes, leicht Ablehnendes. Also wohl eine Liebes-
werbung? Aber — eine Liebcswerbung zwischen zwei
Frauen? Nun ist die Hauptquclle für alle Liebcö-
5l
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alma Vecchios „Ruhende
Nymphen" im Stüdelschen Kunst-
institut zu Frankfurt a. Main.
Seit wenigen Wochen erst ist das Bild von Palma
Vecchio, welches kürzlich für den Stadel erworben wurde,
bekannt. Es war bis zu seiner Entdeckung in einer
kleinen englischen Sammlung versteckt, und es ist bis-
her nicht gelungen, seine Spuren weiter rückwärts mit
Sicherheit zu verfolgen. Daö Bild ist aber von solcher
Eigenart und Schönheit, daß seine Bekanntschaft für
jeden Kunstfreund eine wesentliche Bereicherung seines
künstlerischen Vorstellens und Wissens bedeuten wird.
Und auch der, der Palma kennt und weiß, was seine
Kunst bedeutet, lernt hier den Meister von einer Seite
kennen, die in keinem zweiten Werke seiner Hand so
bewußt und mit solcher Wirkung wieder angeschlagen
ist. Es ist eins jener ersten profanen Gemälde, die
der venezianischen Kunst am Beginn der Hochrenaissance
eigen sind, die von einem Lcbcnsgesühl getragen sind,
das wir mit Recht als neuzeitlich bezeichnen, in denen
Mensch und Natur zum erstenmal gleichwertig zu-
sammen gesehen sind und als ebenbürtige Träger
malerischer Werte sich zu Werken von eigenartigstem
Stimmungsgehalt vereinigen. Eö ist der Zauberkreis
Giorgioncs, unter dessen Banne der junge Palma dieses
Bild schuf, als er ebenso wie Tizian - sein Alters- und
Studiengcnossc — von der Kunst dieser fast mythischen
Persönlichkeit am entscheidendsten beeinflußt war.
Palma Vecchio ist besonders berühmt als Maler
weiblicher Schönheiten und einer bestimmten Gattung
von Andachtsbildern. Zn diesen stellt er regelmäßig die
heiligen Gestalten in einem ruhigen Beisammensein
dar — in einer Landschaft hingclagert, ohne bemerkens-
werte Aktion oder Charakteristik — aber volle, reife,
lebenskräftige Gestalten, die in einer flüchtigen schönen
Stunde zu stiller Beschaulichkeit sich zusammengesundcn
haben. DaS Zusammentreffen der sinnlich-körperlichen
Entfaltung in den Gestalten, der satten Pracht der
Natur in der Landschaft mit dein wcltabgerückten,
aktionslosen Charakter der Stimmung gibt diesen Bildern
ihren größten suggestiven Reiz. Neben diesem neuen
Typus des religiösen Bildes, der bis in daö 19. Jahr-
hundert immer wieder von Künstlern der verschiedensten
Art ausgegriffen und nachgcahmt wurde, ist Palma der
Schöpfer jener berühmten weiblichen Jdcalbildnissc, die
in halber Figur oder im Brustbild eine schöne Frau,
modcllmäßig oder idealisiert, in reichen: Gesellschafts-
oder Phanlasiekostüm, gelegentlich mit einer allegorischen
oder mythologischen Nebenbedeutung, verewigt haben.
Zn dem Frankfurter Bilde vereinigen sich gleichsam die
beiden stärksten Seilen der Begabung Palmas: die Dar-
stellung weiblicher Schönheit und das stimmungsvolle
Zusammenleben von Mensch und Natur.
Am Ufer eines still fließenden Wassers auf einer
blumigen, hochbcwachscnen Wiese lagern zwei nackte
Mädchen im Schatten eines dichten Gebüsches — Helle,
vollcntwickclte Frauenkörpcr, die aus der dunklen, aus
grün und braun gestimmten Landschaft herauslcuchten.
Zm Hintergrund zu den Seiten dcö Gebüsches links ein
Ausblick aus das Meer, rechts aus bergige Fernen.
Darüber blauer Himmel mit abendlich gefärbten Streif-
wolken.
Der moderne Beschauer wird zunächst meinen, hier
einen: „StimmungSbildc" von freier poetischer Er-
findung gegcnübcrzustehcn — etwa nach Art von Böck-
linS pantheistischen Bildergedichten. Aber die venezia-
nische Kunst der Renaissance war in anderer Weise an
den Bildinhalt gebunden, als das 19. und 2O. Jahr-
hundert, und auch ihren freiesten Schöpfungen wohnt
stets ein bestimmter Darstellungsstoff inne. Freilich
sank diese Kunst niemals zu einer bloß illustrativen
Darstcllungswcise herab, sondern sie rückt ihre Vorwürfe
so naiv und frei in die Sphäre der rein künstlerischen
Anschauung, daß cS ost ungemein schwer ist, den eigent-
lichen DarstcllungSstoff zu erkennen. So wird gewiß
auch die Deutung des Frankfurter Bildes noch manches
Kopfzerbrechen verursachen. Aber die einzige Deutung,
die eö bisher gesunden hat — durch Rudolf Schrcy —
ist so einleuchtend, daß sie wohl akzeptiert werden kann.
Die beiden Frauen aus dem Bilde erscheinen in einer
bestimmten psychischen Beziehung zueinander dargestellt:
die linke, liegende, hat in ihrem Blick und der Be-
wegung ihres Körpers etwas Werbendes, Begehrendes —
die rechte, sitzende dagegen etwas Abwartendes, Zurück-
haltendes, leicht Ablehnendes. Also wohl eine Liebes-
werbung? Aber — eine Liebcswerbung zwischen zwei
Frauen? Nun ist die Hauptquclle für alle Liebcö-
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