G. Giacometti:
Hochgebirge.
kein Neuformer. Das Gesetz der Rhythmik ist älter
als die ganze Malerei lind älter als die psychologische
Erklärung, daß Rhnthmik deshalb wohlgefällig wäre,
weil das Wiedererkennen gleichartiger Elemente und
Formen ein sinnliches Vergnügen bereitet. Die Rhyth-
mik, die Vorliebe, seine Werke auf ein großes, leicht
überschaubares lineares Hauptmotiv zu stimmen, ist ihm
nur ein Mittel zum Zweck, zur klaren Formengestaltung.
Das erreicht der Künstler durch ein anderes Vorgehen:
kleine Massen werden jeweils in rhythmischem
Nebeneinander einer großen Hauptmasse gegcn-
übergestellt. Dunkle und Helle Massen werden zu Gegen-
sätzlichkeitswirkungen benutzt. Durch diese Mittel werden die
Hauptformen unterstrichen und greifbar herausgetrieben.
Das sind die Grundsätze, nach welchen auch die-
jenigen unter den alten Meistern geschaffen haben, die
flächig und dekorativ gemalt haben. Die Bezeichnung
„flächig" ist hier genauer zu nehmen als sonst. Unter
flächig ist nicht nur die Betonung des Bildes als farbige
Fläche (im Gegensatz zu jenen Meistern, die durch das
Bildwerk die Illusion der räumlichen Weiten und Tiefen
erzielen wollten) gemeint. Die flächige Malerei dieser
Meister und HodlerS, der ihren Stil wieder aufleben
läßt, beschränkt sich nicht auf die flächenerzeugende Umriß-
linie, auf die Kontur. Sie erstreckt sich nicht allein auf
die Umbildung des Raumes zur Fläche, sondern bedeutet
auch die Klarstellung und Trennung der Flächen durch
die Gesamtheit aller der Malerei gegebenen Ausdrucks-
mittel: Linie, Farbe und Beleuchtung. Linie und Farbe
sind Hodler dabei gleichwertige Mittel. Das Licht (von
Hodler nur dann berücksichtigt, wenn ein starker einzelner
Reflex, ein Glanzlicht zur Erhöhung der plastischen
Klarheit beitragen kann) ist völlig sekundär.
Hodler ist also wohl dreidimensional. Aber die Tiefen-
vorstellungen werden hauptsächlich durch die Flächen-
trennung erreicht, durch des Herausheben der die Flächen
trennenden Linien und dadurch, daß er auch dort Linien
zieht, wo sie von der Natur nur angedeutet sind. Das
Alpha und Omega seines Stilprinzips heißt demnach
Flächentrennung und Betonung des Flächenwechsels.
Es ist unnötig, hier einzuschatten, daß er auf diesen
Wegen auch andere Ergebnisse, andere Endpunkte hätte
erreichen können, als diejenigen, die heute mit seinen
Bildern vorlicgcn. Es wäre möglich gewesen, daß er
auf diesen Wegen nur eine neue künstlerische Handschrift,
aber keinen neuen Stil entdeckt, und daß er — wie die
anderen, die impressionistischen Vorläufer, die das Dar-
stcllungsmittel und nicht den Stil im Auge hatten —
völlig vom Stoffe in Besitz genommen worden wäre.
Aber Hodler wollte mehr. Ihm, dem eS, wie seine
Frühwcrkc zeigen, immer unerfreulich gewesen ist, das
Zufällig-Dalicgcnde darzustellen und die Einzelbeobachtung
heranzuziehen, konnte die Wirklichkeit, die Tatsachenwelt
nur ein Stoff sein, der erst zu einer einheitlichen Er-
scheinung, zu einem stilvollen Ganzen umgcbildet werden
mußte. Er wollte typisieren, aus der Masse der Er-
scheinungskleinigkcitcn das Große, Allgemein-Wahre und
Ewig-Dauernde abheben.
Das hat ihn zur Darstellung der Menschheitstragödie
geführt und har ihn seinen Stil, sein Kompositions-
prinzip finden lassen. Formale Neigungen, sein Suchen
nach diesen kosmischen Inhalten und seine Fähigkeit,
der Erscheinungswelr mit einem riesigen Überlegenheits-
gefühl und einer starkbewußtcn Eigenwcrtcmpfindung
gcgcnüberzustehen, haben zusammcngewirkt, daß ihm
das Umballen rind Umformen der Materie zu einer
stilistischen Einheit gelang.
Wie allen echten und ehrlichen Umwcrtcrn ist ihm
daS Vollbringen nicht leicht gefallen. Er ächzt unter der
Last seines eigenen Willens. Er weiß, daß es nicht
ohne Gewalttaten abgeht. Aber er bleibt, wenngleich
Zuspruch und Erfolg erst am Ende der Kraftjahre kamen,
fest und unbeugsam, und nach einer zwanzigjährigen,
mir unerhörter Folgerichtigkeit fortschreitenden Arbeit
steht er fertig da. Er hat sich erfüllt.
Die Leute zu schmähen, die an ihm vorbcigegangcn
sind, hat heute keinen Sinn, denn Hodler gehört nicht
zu jenen, die man schnell licbgewinnt. Herkömmliche
Schönheit wird auf keinem seiner Bilder verteilt, und
die Sucher nach billigen gefälligen Sachen werden auch
fernerhin mit diesem Künstler ihre liebe Not haben.
Sie nennen ihn kalt, roh und grausam. Er wird als
unbequemer Störenfried empfunden, und die Kunst und
die Künstler betrachten ihn als einen ungewünschtcn
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