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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 14.1907

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Heft 10
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Kesser, Hermann: Ferdinand Hodler, sein Stil und sein Kreis
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https://doi.org/10.11588/diglit.26457#0134

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Cardinaur:
Winter-
landschaft.


Schweizer Hodler versteht und wertet. Es ist einer
unserer Lebenden, der stammverwandte Hans Thoma,
wie Hodler Alamanne. Ohne Willkür und Phantasie
lasten sich Linien aufweisen, die beiden gemeinsam sind.
Wir finden sie in allen künstlerischen Elementen, die
bei diesen Künstlern als die eigentlichen Verkörperet' deö
Willens zum Stil gelten dürfen.
So hat auch Thoma seine Bilder immer auf Masscn-
und Farbgegensätzc aufgcbaut, wenn er auch in seinen
Endzielen von Hodler verschieden ist. Thoma behandelt
die ganze Erscheinungswelt (Figuren, Blumen, Bäume,
Wolken) als Linie — Färb- und Raumwerte, und bildet
aus ihnen eine künstlerische Einheit. Wie Hodler.
V.
Die stattliche Jungmannschast, die sich in der Schweiz
an Hodler angcsch losten hat, ist kein kleineres Beweis-
stück, daß mit seiner Formcrkunst wieder ein Stil (eilte
künstlerische AuSdruckömöglichkeit, an der jeder auf seine
Weise Weiterarbeiten und weiterbildcn kann) gefunden
ist, als Hodlers Werke selbst. Es sind in der Mehr-
zahl reife Künstler, also nichts weniger als junge Sucher,
die sich willenlos der fremden Persönlichkeit ausgeliefert
haben.
Jeder dieser Künstler, den der künstlerische Tatsachen-
blick auf die Mittel Ferdinand Hodlers gewiesen hat,
bleibt sich treu. Jeder hat eilt eigenes Gesicht. Hodler
ist der Vater ihrer künstlerischen Grundsätze. Aber die
Richtungen, in denen diese Grundsätze angewandt werden,
sind so verschieden, und diese Grundsätze lassen der Selbst-
entwickelung so viel freies Spiel, daß man nicht von
einer weiteren Verwandtschaft reden kann, als wie sie
beispielsweise in der Renaissance zwischen den größten
Meistern bestand, und damals nicht für verboten, sondern
sogar für empfehlenswert gegolten hat.
In diesem Sinne ist der Hodlerschc Künstlcrkrcis
eine Rarität der modernen Kunstgeschichte.

DaS engere Landesgebiet,
auf dem die schweizerischen
Künstler tätig sind, hat die
Fühlung zwischen Hodler und
den Jungschweizern begünstigt
und diese Stilverbreitung in
kürzerer Zeit möglich gemacht,
als es in einem großen Lande
wahrscheinlich gewesen wäre.
Bemerkenswert ist, daß das
ohne die Errichtung einer regel-
rechten an einen bestimmten Ort
gebundenen ,Hodlerschulck mög-
lich war. Es gab in der Schweiz
kein Dachau, eö gab kein Worps-
wede, und ein einbeitlichcS Mal-
reglement hat Hodler nicht ein-
mal unter seinen allernächsten
Malfreunden ausgetcilt. Er tat
mehr: er zeigte ihnen, wie sie
auf ihre Weise stark sein konnten.
So ist der Solothurner
Kuno Amiet* eine selbstän-
dige koloristische Erscheinung
neben Hodler geworden, ein Künstler mit einer eigenen
Note, bei dem nur noch die Linien und die Massenein-
teilung Hodlerschc Grundsätze antöncn; so habe:: sich die
Berner Boß und Cardinaux, der eine in der Darstel-
lung deS heimischen Volkes in der Landschaft, der andere
als einer der ersten HochgebirgSmaler, frei und unbehin-
dert auS Hodlers Vorbild heraus entwickelt, und so ist in
der Schweiz ein bodenständiger, warmblütiger Künstler
emporgekommcn, der mit einem Schlage bewies, daß
dieser Stil auch aus die Heünatkunst übertragbar sei: der
auS Burgdorf im Kanton Bern stammende Schweizer
Maler Max Buri, die stärkste Begabung der jüngeren
Schweizer Künstlerschar. Ein Kolorist mir eigener Skala,
ein scharfer Beobachter des Volkslebens, ein tiefer Dar-
steller, ein Typenbildner wendet Hodlers Einfachheit, seine
Linienkunst und sein kompositionelles Grundprinzip auf
das richtige Bauernbild an, aus die Wiedergabe von
Wirtshaus- und Dorfftraßcnszencn, auf die Darstellung
des Gebirgsvolkes, der WirtshäuSlcr und Gemeindetypen,
der Landmusikanten, singenden Mädchen, Bergführer
und Zecher, lind diese Anwendung zeitigt eine Heimat-
kunst, eine frische und vergnügte, eine Helle und deko-
rative Malerei, die neu und unerhört ist. Auch Künstler
aus den der Schweiz benachbarten Landcsteilen, die
Hodler in der Schweiz kennen lernten, gehören zu seinem
Kreise. So der in Bern lebende Schwabe Ernst Linck
und der in Zürich arbeitende Badenser Ernst Würtcn-
berger, ein erfolgreicher Maler, Porträtist und Graphi-
ker, der Hodlers Prinzipien neuerdings erfolgreich aus
die Bildniskunst übertragen hat. Den: Kreise gehören
ferner an Fritz Widmann, ein starker Landschafter,
Raphy Dalftres, ein Walliser, Karl Fr. Schobingcr,
Giovanni Giacometti, ein Engadincr, Ernst Biöler,
A. Trachscl, und Surbeck. Jeder auf seine Art.
Hermann Kesscr-Zürich.
* Siede des Verfassers Studie „Kuno Amiet" („Kunst und
Künstler", Verlag von Bruno Cassierer, Jahrg. I?0d, Heft 5).

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