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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 14.1907

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Heft 10
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Baer, Casimir Hermann: Das alte und neue Schweizer Bürgerhaus
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https://doi.org/10.11588/diglit.26457#0138

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Dasein allein auöfechten

Abb. 8. Jagdsitz auf dem Brühlikofen bei Aollikofen
(Kanton Bern), erbaut wohl um I5ZS.

Dies reiche, saft unerschöpf¬
liche Studienmaterial ist denn
auch in der Schweiz nie völlig
unbeachtet geblieben. Die Über¬
zeugung allerdings, daß eine
moderne, Volks- und ortStüm-
liche bürgerliche Baukunst
durchaus nicht jener, die vor
Jahrhunderten geübt wurde,
möglichst genau gleichen müsse,
hat sich erst in den letzten
Jahrzehnten Bahn gebrochen.
Zugleich aber nahmen einer¬
seits Interesse und Verständnis
der Allgemeinheit an alter
bürgerlicher Bauart ungemein
zu, während anderseits die
neuzeitlichen Baumeister im¬
mer erfolgreicher nach architek¬
tonischen Gestaltungen suchten,
die den jeweiligen örtlichen
Verhältnissen, den Boden¬
formationen, Baumaterialien
oder berechtigten Eigentüm¬
lichkeiten in der Lebensweise
der Bevölkerung ihre Begrün¬
dung und Entstehung ver¬
danken. Unsere Vorfahren
waren zur sorgsamsten Be¬
rücksichtigung all dieser Dinge
gezwungen, weil sie, an die
Scholle gefesselt, ohne Hilfe
oder wesentliche Beeinflussung
von außen, den Kamps ums
mußten, weil sie gezwungen waren, mit eigener Phantasie
und eigenem Kunstvcrmögcn allein mit den von der
Natur gegebenen
Mitteln ihrem Leben
den nötigen, ersehnten
Schmuck zu ver¬
schaffen. Wenn auch
die eigentümlichen
geographischen und
politischen Verhält¬
nisse der Schweiz eine
derartige Bau- und
Künstbetätigung nie
ganz verschwinden
ließen, bedurfte eö
doch auch bei unS
einer überzeugten und
energischenAblchnung
aller um die Mitte
des vorigen Jahr¬
hunderts entdeckten
und noch immer nut
Nachdruck von Mei¬
stern Scmperschcr
Schule gelehrten ar¬
chitektonischen Weis¬
heiten. Es bedurfte

Abb. 9. Wohnhaus in Bümpliz bei Bern.
Architekt: Münsterbaumcister Karl Jndermühle in Bern, erbaut I90ü.

weiterhin eines angestrengten,
oft mühsamen Suchens nach
alten Traditionen und einer
ziclbewußten, allen modernen
Anforderungen entsprechenden
Umwandlung derartiger Bau-
gewohnheiten, um wieder zu
einem individuellen heimat-
lichen Bauschaffen zu gelangen.
DaS war um so schwieriger,
als unsere jungen Architekten
ganz aus sich selbst, höchstens
noch aus die vorbildliche Tätig-
keit einiger süddeutschen Meister
angewiesen waren und in fort-
gesetztem, ost aufreibendem
Kamps mit den Anschauungen
älterer, auch die Schule fast
völlig beeinflussender Fach-
genossen Schritt für Schritt
den Boden für ihre Tätigkeit
gewinnen mußten. Daß es
ihnen trotz allem gelang,
durchzudringen, mag als Be-
weis für die Folgerichtigkeit
ihrer Bestrebungen und für
die ernste Tüchtigkeit ihrer
Leistungen angesehen werden.
Wir leben in der Schweiz
in einem rauhen Klima mit
ziemlichen Extremen in der
Sommer- und Wintertempe-
ratur, mit reichlichen Nieder-
schlägen und vielen unfreundlichen, regnerischen und
windreichen Tagen. Daraus ergibt sich mit zwingender
Notwendigkeit das HauS mit beherrschendem Dach,
mit jenem Dach, das
in mannigfachen Va-
riationen in heißen
Tagen schattige Kühle,
im Winter wohnliche
Wärme, immer aber
traute wohlige Be-
haglichkeit verspricht.
Nach der auch bei
uns so lange herr-
schenden italienischen
Mode, die das Dach
in Unterdrückung
hielt, ist das Wieder-
ausgrciscn dieses maß-
gebenden Motivs ein
Schritt in der Vor-
wärtsentwicklung, der
nicht hoch genug ge-
wertet werden kann.
Durch ihn wurden
alle jene klassizisti-
schen Ideale ver-
drängt, die gerade
im Hausbau von

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