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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 14.1907

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Heft 10
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Baer, Casimir Hermann: Das alte und neue Schweizer Bürgerhaus
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https://doi.org/10.11588/diglit.26457#0139

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verhängnisvollstem
Einfluß waren, da sie
die Anforderungen der
italienischen Kunst an
strenge Symmetrie
auf Gebäudetypen
verpflanzten, deren
Charakter eine freie
Grundrißentwicklung
zur Bedingung hat.
Das heimische Haus
mit beherrschendem
Dach hat heute fast
überall seinen Einzug
gehalten; dagegen sind
die Kuppeln und fla¬
chen Dächer z. B. eid¬
genössischer Post-,
Militär- und Verwal¬
tungsgebäude höchst
bedauerliche Zeugen
des starren Schema¬
tismus wie der geschmacklichen Rückständigkeit einzelner
Staatsbehörden.
Eine Folge des bürgerlichen Daches ist der Giebel.
Er erscheint wie das Auge des Hauses, das freundlich
ernst über Stadt und Land schaut, das verheißend einen
Teil von all der Gemütlichkeit ahnen läßt, die ein solch
behäbiges dachgeschütztes Heim verspricht. Auch die
Form des Giebels läßt zahlreiche Wandlungen zu; bald
zeigt er interessant geschwungenen Umriß, bald ernst
geradlinige Abdeckung; bald ragt er zwei- und mehr-
geschossig bis zum Dachfirst
empor, bald ziert er nur als
reizvoller Dacherker die ruhige
Ziegel- oder Schindelfläche;
stets aber beeinflußt er wesent¬
lich die Erscheinung des ganzen
Bauwerkes.
Dach und Giebel sind die
charakteristischsten Bestandteile
des Bürgerhauses der Schweiz;
wo sie fehlen, ist entweder
fremdländischer Einfluß über¬
mächtig maßgebend gewesen,
oder das Bestreben, bürger¬
liches Wesen durch Herrschaft-
lichkeit zu übertrumpfen. Das
bewußte Wiederaufgreifen und
glückliche Wiederverwenden
dieser beiden Bauelemente aber
hat die Renaissance in der
modernen bürgerlichen Bau¬
kunst der Schweiz gezeitigt,
der wir uns mit bewußtem
Stolz rühmen dürfen.
Unter den traditionskräf¬
tigen größeren Schweizer¬
städten nehmen Basel und
Bern die erste Stelle ein, da
in ihnen Handel und Wandel

stets in engstem Zu-
sammenhang mit der
Vergangenheit blieben
und ein stolzer selbst-
bewußter Lokalpatrio-
tismus die achtung-
gebietende Wert-
schätzung der väter-
lichen Schöpfungen
stetsfort zu vermehren
trachtet. In Bern
war es denn auch
Architekt H. B. von
Fischer, der wohl als
erster in der Schweiz
die Theorie von der
nötigen Anknüpfung
an die ortsüblichen
Traditionen bewußt
auch praktisch zu be-
tätigen versuchte. Er
hat u. a. um den
Thunplatz auf dem Kirchcnfelde in Bern eine Reihe von
Villcnbautcn erstellt, bei deren Anlage und Ausstattung
in glücklichster Weise an die charakteristische Formen-
gebung jener herrschaftlichen Sitze angcknüpft wurde,
die im XVII. und XVIII. Jahrhundert von den alten
Berner Familien rings um die Stadt erbaut worden
sind. Dieser typische, stark von französischem Geschmack
beeinflußte Berner Stil, der den Straßen der Stadt wie
den Landhäusern und ihrer Umgebung ein eigenartiges,
behaglich vornehmes Gepräge verleiht, hat hier an den
teilweise überaus reizvollen
Ballten eine modernen Ver-
hältnissen trefflich angepaßte
Wiederbelebung gefunden, die
in ihrer Wirkung durch sorg-
fältige, zweckentsprechende
Garten- und Parkanlagen noch
besonders gehoben wird. Weite
Rasenplätze vor den Garten-
terrassen des HauscS, Fern-
blicke über die Grenzen des
Grundstücks hinaus in das
offene sonnige Land, schattige
Laubengänge in den Achsen
des Gebäudes zwischen duften-
den Blumenrabatten lind ver-
einzelten Bildwerken, Baum-
alleen, die sich träumerisch
allmählich im angrenzenden
Wiesenland verlieren, all
das trägt mit dazu bei, den
wohltuend einheitlichen und
bodenständigen Eindruck die-
ser modernen Anlagen we-
sentlich zu vermehren. Und
trotz der offensichtlichen An-
knüpfung an Altes wird da-
bei doch das Gefühl, nur
eine Imitation vor sich zu


Abb. IO. Haus It. V.-Z. an der Kreuzung der Seevogel- und Hardstraße in Basel.
Architekt: Frih Stchlin in Basel, erbaut I?0t/04.

Abb. >1. Haus 6. tt.-H. in der Hardstraße in Basel.
Architekt: Fritz Stehlin in Basel, erbaut l?0Z/04.


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