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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 14.1907

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Heft 12
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Hesse, Hermann: Auf der Walze: aus einem unvollendeten Handwerksburschenbuch$nElektronische Ressource
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https://doi.org/10.11588/diglit.26457#0215

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Auf der Walze.

Schnaps, der ist so stark, man vermischt ihn mit kaltem
Wasser und heißt Absa. Die Religion war unterschied-
lich, jedoch mehr katholisch, aber wenig gute Pfarrhäuser.
... In Bern redeten sie Deutsch, aber eine un-
gebildete Sorte, und die Stadt ist zum Teil sehr alt und
schief gebaut/ ähnlich wie man auch Städte im Baye-
rischen hat. Doch erging es mir überaus wohl, ich
traf nämlich zwei Landsleute an. Johann Miegel zahlte
mir die Kost und Nachtgeld und brachte mich in seine
Werkstatt. Der Meister war laut und mächtig, wollte
mich aber doch behalten und wies mir Arbeit. So-
gleich fing ein schönes Wohlleben an, ich hatte immer
Geld und brauchte nie keins. In unserer Penne nämlich
war keine Seele, welcher Fozhobel und Iiehharfe spielen
oder schön singen konnte, ich konnte alles aber sehr gut
und wurde bald bei allen Gesellen berühmt. Brauchte
niemals eine Zeche zu zahlen, und wenn ich sollte Ge-
schichten erzählen, besann ich mich lange und wartete
zu, bis sie mich stark drängten und mir Wein ein-
schenkten. Als ich viel getrunken hatte, sagte ich zu
allen Gesellen, sie seien Nachteulen und ich hätte alle
meine Geschichten selber ausgedacht und keine einzige
wahrhaftige darunter. Da bekam ich mehr Streiche
als mir lieb war. Das nächste Mal fängt einer wieder
an: NiklaS, eine Geschichte! Ich stumm wie ein Aas,
bis sie alle wieder zuhören wollen, sei es wahr oder
nicht, und sie glaubten mir alles, namentlich wenn ich
von Totschlägen und Hochzeiten erzählte. Da kam mir
alles zugut, was ich beim Oheim gelesen hatte, auch
fielen mir immer neue Geschichten ein, jeden Tag und
jede Stunde, wenn nur einer danach fragte, aber alle
erlogen.
Auch mußte ich immerzu singen und aufspielen ....
II.
So war ich die längste Zeit in Luzern gewesen.
Das Frauenzimmer hieß namens Agathe, aber man rief
ihr nur immer Angeli, aber ich konnte ja doch nicht
heiraten und geriet in eine lange Traurigkeit. Da ich
nichts mehr gut machen konnte, mochte ich sie gar
nimmer sehen und flüchtete vor ihr. Sie stand aber
jeden Abend nahe bei der Werkstatt und einmal ging
ich mit ihr spazieren und wir standen beide unter einem
schrägen Nußbaum am Waldstätter See. Hinter dem
mächtigen Wasser stieg der große Rigiberg herauf und
alles war herrlich zu sehen, auch Böte im Wasser und
große Kähne, bis dreißig Schuh lang und noch mehr.
Dennoch war es mir traurig, denn die Angeli weinte
schier ohne Unterlaß und sagte: „Ich wollt, ich läg im
See und du auch!"
In derselben Zeit war mir sonderbar ums Herz.
Wenn ich jeden Tag die großen Berge und das viele
Wasser sah, verlor ich ganz die Augen in der Ferne
und mir schien, daß überall noch ein gutes Stück Welt
für mich übrig sei. In Luzern hatte ich auch besser
Französisch gelernt, weil zwei Genfer mit mir eingestellt
waren. Ich hörte sagen, ein deutscher Sattlergesell
findet in jedem Land und Weltteil lcichtlich sein Brot,
und beschloß mehr und mehr den Berliner zu packen.
Mit der Agathe gab cs eine große Not und wir weinten
alle zwei beide, wie die kleinen Kinderlein. Auch mußte

ich ihr fast alles Geld geben. Da hörte ich, daß in
Mailand viel Arbeit sei, und zwei Bekannte von mir
wollten hinmachen. Davon lehnte einer mir sieben
Franken, und auch der Meister gab mir ein bares Ge-
schenk, zwar war es wenig. Wir fuhren über den
langen See bis an sein Ende, wo immer mehr Berge
nach Art von allmächtigen Mauern kamen, daß mir
bang und angst wurde; wenigstens hatten wir ein gutes
Wetter. Und obwohl ich des Tages mehr als acht
Stunden vermag, waren die Sträßlein in dem Gebirge
elend hart und fielen mir so sauer, daß ich jede Nacht
wie eine Leiche dalag. Das erbarmte die andern und
wir fuhren manchmal ein gutes Stück mit der Post oder
auch oft mit Fuhrleuten für wenig Geld. Da habe ich
viel Geschichten verzählt, denn ich wußte gut, daß die
Fuhrleute auf ihrer langen stillen Fahrt eine gute Ge-
sellschaft so gut gebrauchen können, als Bier und Tabak.
Sie schenkten mir außer dem Mitfahren oft genug einen
halben Schoppen oder eine von ihren Zigarren, die
innen Stroh haben und unmenschlich lange Stengel
sind, davon mir zwei- oder dreimal bitter übel wurde.
Auf eine solche Art zwangen wir den St. Gotthard,
und bald darauf fing ein Welschen an, daß mir Hören
und Sehen vergehen wollte. Unser gutes sauer er-
lerntes Französisch war nicht besser, als wenn wir
Böhmisch gesprochen hätten. Sonst waren zwar die
Leute geizig, aber vergnügt und gutartig, nur durften
wir nichts von ihnen haben wollen. Da gab es manche
Not, und unser Kleingeld ging nah beieinander. Auch
fiel mir nun freilich ein, was mir der gelbe Friedel
seinerzeit gesagt hat, nämlich, daß dieses Italien für uns
Kunden das allerschlechtcste Land auf der Welt ist. Wie
sollte das werden? Denn wir waren noch immer in
der Schweiz, und das Elend mit den Jtalicnerleuten fing
schon an. Wenn nicht die Poststellen mit den vielen
Reisenden gewesen wären, hätte uns bald der leidige
Hunger geplagt. Lieber Gott, da stahl ich denn einmal
drunten im Weinland eine lange Jtalienerwurst, die
hart und salzig sind, und man kann sie ein Jahr lang
haben. Fängt einer von den Kameraden zu räsonieren
an, sagte, er fresse nichts Gestohlenes, und ich möge
an meiner langen Wurst ersticken, wenn ich sie nicht
wieder zurückbringe. Das ging aber nicht und so ver-
söhnten wir uns wieder miteinander; er fraß aber nichts
davon. Und mich wollte schier der Durst umbringen,
denn das Zeug war heillos gesalzen, daß ich immer
wieder aus dem großen kalten Bache trinken mußte und
ein furchtbares Bauchgrimmen bekam. ES kam von
dein kalten Wasser her, aber der andere sagte immer,
eS kommt von der gestohlenen Wurst.
Ging eine lange Zeit, da kamen wir nach Lugano,
wo wiederum ein großes blaues Gewässer war, viele
Schifflein und Hotele, ein schlechter Ort für arme
Kunden. Und daselbst bekam ich Streit mit meinen
Kameraden, aber einer davon hatte mir sieben Franken
geliehen und schrie: „Du bleibst bei mir, bis ich mein
Geld wieder hab." Ich wollte in dem elenden Lande
nicht weiter machen, da mußte ich ihm meine guten
Stiefel geben und die kaputen selber anziehcn, und mein
Sackmeffer aus Bern mußte ich ihm auch hergebcn,
weil er zu zweit war. . . .

I8Z
 
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