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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 14.1907

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Heft 12
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Wilisch, Toni: Spittelers Prometheus und Nietzsches Zarathustra
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https://doi.org/10.11588/diglit.26457#0217

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Spittelers Prometheus und Nietzsches Zarathustra.

Ausdrucksmittel sein. So erscheint denn auch bei ihm
dieser Stil immer wieder und in einer so vollendeten
Einheitlichkeit, daß Gottsried Keller über Prometheus
den Ausspruch tat, das Buch lese sich, als wäre es
IIOO Jahre vor Christus in Indien geschrieben. „Die
Sache kommt mir beinah vor," schrieb er an Widmann,
„als wenn ein urweltlicher Poet aus der Zeit, wo die
Religionen und Göttersagen wuchsen und doch schon vieles
erlebt war, heute unvermittelt ans Licht träte und seinen
mysteriösen großartig naiven Gesang anstimmte."
Aber daö Auffallendste ist nicht einmal das Wichtigste.
Bei allen bisher erwähnten Übereinstimmungen könnte
man von der Möglichkeit eines Zufalls, oder von gleich-
artiger Weltanschauung reden, vielleicht auch von einer
gemeinschaftlichen beiderseitig unabhängigen Anlehnung
an das erhabene Vorbild des Alten Testamentes.
Weit bedeutungsvoller scheint mir der Umstand, daß
Zarathustra und Prometheus Personifikationen von tiefem
Pathos gemein haben, ganze poetische Figuren, wie sie
zwar Carl Spitteler, dem Symboliker, dem phantasie-
starken kosmischen Dichter, daö Allcrnatürlichste sind,
wie sie aber nicht in Nietzsches Gewohnheit und, betrachtet
man seine übrigen philosophischen Schriften, wohl auch
außerhalb seines dichterischen Vermögens liegen.
Als Beispiele solcher gemeinsamer Personifikationen
nenne ich die erhabene Gestalt eines kranken Gottes, daö
„Tote Tal" (bei Nietzsche „das Tal Schlangentod" ge-
nannt), das Meer des Lebens mit dem Fischer (bei Nietzsche
das „Menschenmccr" mit dem Fischer Zarathustra).
Vor allem aber überzeugend für die geistige Ab-
hängigkeit des Zarathustra von Prometheus ist die
plastische Gestaltung des Innenlebens beider Helden.
Der Seele des Prometheus gibt Spitteler die Gestalt
einer „strengen Herrin". Der befehlenden inneren
Stimme gibt Nietzsche die Gestalt einer „furchtbaren
Herrin". Seelische Eigenschaften und Vorgänge ver-
körpert Spitteler in Ticrgcstaltcn; zwischen zwei solchen
Tieren erscheint Prometheus, zwischen zwei solchen Tieren
erscheint auch Zarathustra. Zn einem Löwen verkörpert
Spitteler den Geist, in den Kindern des Löwen die
Talente. In einem Löwen verkörpert auch Nietzsche
den Geist, auch bei ihm hat die „Löwin Weisheit"
ein Junges.
Diese Seelentiere sind nicht Nietzsches Eigentum.
Die Ähnlichkeiten und Anklänge in der Durchführung
dieser Bilder erstrecken sich mitunter bis in kleine Einzel-
heiten der Erzählung hinein. So schildern das Nahen
der „Herrin" beide Bücher folgendermaßen:

Prometheus.
„So war von Furcht
entsetzt Prometheus' Ange-
sicht, so zitterte und bcbete
vor Schreck sein ganzer
Körper."
. . . „Aber heute fleh
und schrei ich jetzt zu dir:
Erbarme dich! erweiche dich!
Denn sieh, es ist zu viel,
und länger wahrlich kann
ichs nimmer tragen!"

Zarathustra.
„Und ich schrie vor
Schrecken bei diesem Flü-
stern, und das Blut wich
aus meinem Gesichte."
„Und ich weinte und
zitterte wie ein Kind und
sprach: „Ach, ich wollte
schon, aber wie kann ich es!
Erlaß mir dies nur! Es ist
über meine Kraft!"

Bei Zarathustras „lachendem Löwen" (nebenbei: man
vergleiche diesen mit Prometheus' „weinendem" „er-

rötendem Hündchen) steht
Prometheus.
... „nahete ergeben und
versöhnt der Löwe, wäh-
rend sich das Hündchen
wehmutsvoller Freude sehr
gebärdete mit Winseln und
mit Wedeln.
Und als sie nun ge-
kommen zu Prometheus'
Füßen, schmiegten sie sich
an sein Knie. . .
... Und jener kniete jetzt
zur Erde. .. flüsterte und
sprach mit vielen Tränen...
.. . Und jene leckten
dankend ihm das Antlitz."

es ebenso.
Zarathustra.
„Da lag ihm ein gelbeö
mächtiges Getier zu Füßen
und schmiegte das Haupt
an seine Knie und wollte
nicht von ihm lasten vor
Liebe, und tat einem Hunde
gleich....
Der starke Löwe aber
leckte immer die Tränen,
welche auf die Hände Za-
rathustras herabfielen."

Zu alledem nun kommen noch Entlehnungen indivi-
dueller Willkürlichkeiten in der Erfindung. Auch hierzu
ein Beispiel:
Als Prometheus in das fremde Land zieht (wo er
sich dann, nebenbei bemerkt, aus den Markt stellt, ganz
wie Zarathustra zu Anfang seiner Laufbahn), begegnet
er einer Schar von Zigeunern.

Prometheus.
„Da lagerte ein frohes
Volk am Weg und sang
und tanzte um ein lustig
Feuer. Doch vor Prome-
theus Angesicht erschraken
sie und schafften eifrig
Stille. Und eS begann und
sprach Prometheus freund-
lichen Ermahnens: Ihr
lieben Brüder, fahret fort
und singet mir ein Lied
nach eurer Weise!"

Zarathustra.
„Da kam er auf eine
grüne Wiese, die von Bäu-
men und Gebüsch still um-
standenwar: auf der tanzten
Mädchen miteinander. So-
bald die Mädchen Zara-
thustra erkannten, ließen sie
vom Tanze ab; Zarathustra
aber trat mit freundlicher
Gebärde zu ihnen und
sprach diese Worte: „Laßt
vom Tanze nicht ab, ihr
lieblichen Mädchen!"

Wo inan den dichterischen Gedanken Spittelers in
Zarathustra begegnet, findet man sie meist aus dem
Anschaulichen ins Philosophische, Abstrakte übersetzt.
Spittelers Bilder sind oftmals nicht unverändert über-
nommen, sondern in Einzelheiten angcpaßt und variiert.
Suchen z. B. Leviathan und Zarathustra beide gleicher-
maßen nach einem „Köder", geeignet zum Menschensang,
so wählt Leviathan Tugend, Zarathustra Glück. Stellt
der Frosch in Prometheus eine Dummheit dar, so ver-
sinnbildlicht er in Zarathustra eine Weisheit.
Vieles wurde ausgesührt, verbreitert, anderes rhetorisch
gesteigert. Nennt z. B. Spitteler die Lehrer des Volkes
„seingcspitzt" oder „spitzig", so führt Nietzsche daö Bild
aus und erklärt, daß er nicht gesonnen sei, des Volkes
Klugheit „noch zu witzigen und zu spitzigen, als ob sie
noch nicht genug der Klüglinge hätten, deren Stimme
mir gleich Schieferstiften kritzelt".


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