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Riegl, Alois
Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn: Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn im Zusammenhange mit der Gesammtentwicklung der Bildenden Künste bei den Mittelmeervölkern — Wien, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.1272#0142
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MALEREI.

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Beispiel im Opfer der Dido (Pict. 22). Die sitzenden Figuren wenden sich noch nicht völlig
.geradeaus, sondern in der überkommenen Dreiviertelansicht gegen den Beschauer.

Von besonderem Interesse sind ferner folgende Bilder: Pict. 19: Links die Strandlinie, längs
deren die Brandungswellen am Ufer lecken; auf diesem zwei Rinder, deren Schlagschatten sich
in auffallender und somit beabsichtigter Schärfe auf dem Kiese malen. Pict. 28: Im Vordergrunde
Ruderschiffe, die über das Meer gleiten, im Mittelgrunde inmitten der Flut zwei Scogli mit
Bäumen, die parallel mit den Schiffen lange Schatten auf den Wasserspiegel werfen, im Hinter-
grunde über dem Horizonte ein lichter Streif. Dieses Bild wäre eines der stimmungsvollsten,
wenn die Coulissen nicht so strenge beobachtet und das Meer wirklich als wogendes oder spie-
gelndes Wasser, der Himmel über dem hohen Horizonte wirklich als Luftraum und nicht als
Reliefgrund behandelt wäre. Pict. 41: Tempelfront zwischen Bäumen. Man lernt daraus, was diese
Römer zum Unterschiede von den Griechen an ihren Tempeln schätzten. Hell schimmernde
Hauptlinien: Säulen, Gebälk, Giebelsparren, Stufenunterbau; im Contraste dazu der schattige
Porticus im Innern und der grüne Rahmen der Bäume außen. Leider sind die als dunkle
Silhouetten davor wandelnden Figuren fast ganz abgerieben; aber die Bronzestatuen auf hohen
Postamenten vor den Säulen sind noch deutlich zu sehen. Überall das Streben nach Contrasten
in Licht und Schatten, die aber zum Unterschiede von der neueren Kunst nicht eine einheit-
liche, sondern eine unruhig flackernde Wirkung ergeben. Der antike Beschauer hingegen gewann
eben aus dem (uns heutzutage störenden) Rhythmus in der Aufeinanderfolge von Licht und
Schatten den Eindruck beruhigender, erlösender Harmonie.

Den besprochenen Virgil-Illustrationen sollen die Miniaturen der ältesten christlichen Bilder-
handschrift — der Quedlinburger Itala-Fragmente — ganz nahe stehen. Wir müssen dies ihrem
Herausgeber V. S c h u 11 z e aufs Wort glauben, denn die Heliogravüren, in denen die arg
beschädigten Blätter jetzt vorliegen, gestatten in keiner Weise ein eigenes Urtheil. Doch gewinnt
man in der That den Eindruck, dass wir hier eine ältere Entwicklungsphase der Malerei als die
von der Genesis vertretene vor uns haben. Gegenüber dem Virgil lässt sich nur bemerken, dass
in den Itala-Illustrationen das landschaftliche Beiwerk gegenüber den Figuren schon vollständig
zurücktritt. Der Schlagschatten scheint aber noch beobachtet.

Dagegen tragen die Miniaturbilder der Wiener Genesis (publiciert von W. v. H a r t e 1 und
Wickhoff, Wien 1895) bereits alle entscheidenden Kriterien des spätrömischen Kunststiles zur
Schau. Die Schlagschatten sind verschwunden; dafür hat sich der Schwebeschritt der Füße und
die gelegentlichen Überschneidungen derselben, die Axialität, die Zusammenballung von Figuren-
massen in einer Ebene eingestellt. Der begrenzte Tiefraum der vatikanischen Aeneis begegnet
schon seltener und an seine Stelle tritt manchmal eine scheinbare Raumlosigkeit (das ist Hinter-
grundlosigkeit), die aber in Wirklichkeit gemäß der spätrömischen Auffassung (S. 88 f.) den
Übergang zur modernen Stellung der Figur im unendlichen Räume bezeichnet. Anderseits
kommen schon Hintergründe vor (Taf. 45 und 46), die wenigstens im modernen Beschauer
geradewegs die Ahnung des unbegrenzten Luftraumes über der Erdfeste erwecken. Die
Randschatten gewinnen mit der gesteigerten Neigung zur Massenzusammenfassung wiederum
mehr die Bedeutung von Umrissen; * dementsprechend werden die skizzenhaft aufgelockerten

1 Diese Erscheinung tritt namentlich an den Arbeiten desjenigen unter den Illuminatoren der Wiener Genesis hervor, den Wickhoff
als den „Miniaturisten" bezeichnet hat. Er ist es daher auch, der sich in der Stilentwicklung am meisten fortgeschritten erweist. Nur darf
man aus der von Wickhoff gewählten Bezeichnung des „Miniaturisten" nicht den Schluss ableiten, dass die stärkere Betonung der Umrisse

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