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Rodenwaldt, Gerhart
Der Fries des Megarons von Mykenai — Halle a /​ S., 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.14692#0060
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flbb. 24. Etfenbeinköpfcfoen aus Knoffos.
III.

Der Fries und die ältefte Kultur der Griechen.

Ruf fcbroffer Felsböbe, von ftarken Mauern umwebrt, in kleine, mübfam dem Gelände
abgewonnene Terraffen zerteilt lag der Herrfcberfi^ der Fürften von Mykenai, einer Burg des
Mittelalters, nicbt wie die kretifcben Paläfte einem Barockfcbloffe vergleichbar. Von Kriegstaten
erzählte der Fries, mit dem ein Maler auf Gebeiß des Fürften die langen Wände des Haupte
gemaches der Burg fchmückte, Taten von Männern, die eine andere Tracht tragen, als fie je
in der kretifcben Kunft ficb findet. Hus der Welt des Märchens find wir in die Welt des
Epos verfemt.

Wenn wir danach fragen, welche Stellung der figurenreicbe Fries des Megarons von
Mykenai als Dokument der Kunft und Kultur des zweiten vorcbriftlicben Jabrtaufends einnimmt,
fo müffen wir uns von der Kunft Kretas einem zweiten Kapitel der Vorgefchichte der europäifcben
Kunft zuwenden. So vorfichtig wir auch in der biftorifcben Auswertung der uns allein greif-
baren kunft> und kulturgefchicbtlicben Tatfacben fein müffen, fo ficber können wir die eine
grundlegende Feftftellung machen, daß nicbt ein einziges Volk oder ein einzelner Staat Träger
diefer Kultur gewefen ift, fondern daß wir zwifcben Kreta und dem griecbifcben Feftland eine
Trennung machen müffen, die die Wahl eines einheitlichen Namens, wie der kretifcben, minoifcben
oder ägäifchen Kultur, als nicbt ihrem Wefen entfprecbend erfcbeinen läßt.

Die Situation, die wir aus den Funden zu erkennen vermögen, ift überrafcbend und
gibt neue Rätfei auf. Während in Kreta fchon die großen Paläfte der mittelminoifchen Zeit be-
ftanden, lebte die Bevölkerung Griechenlands unberührt von diefem Glänze in einfacbften,
primitiven Verbältniffen.120) Jahrhundertelang bildete das Meer zwifcben Kreta und dem
griecbifcben Feftlande die Grenze zwifcben den Kulturvölkern und dem Barbarenlande. Da
erwäcbft in Kreta plötjlicb die malerifche Kunft der fpäten mittelminoifchen und der frühen
fpätminoifcben Epoche, und mit derfelben explofiven Urgewalt, mit der fie entftebt, unterwirft
fie [ich mit einem Schlage das griecbifcbe Feftland. Wo bis dabin ärmliche Bauwerke ftanden, in
denen primitive Geräte und bandgemacbte einfache Keramik die einzige Husftattung bildeten,
während die eigentliche künftlerifcbe Produktion ficb auf die geometrifche Ornamentik der
 
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