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Schlagintweit, Emil
Indien in Wort und Bild: eine Schilderung des indischen Kaiserreiches (Band 1) — Leipzig, 1880

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https://doi.org/10.11588/diglit.613#0190
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als zweihundert Insassen. Kürzere Strafen wegen Verfehlungen gegen die Strafgesetze verbüssen die
Europäer in den gewöhnlichen Gefängnissen unter Vorkehrungen, wie sie das Klima bedingt; für
längere Freiheitsstrafen ist Utakamand Centralgefängniss. Im August 1861 bezogen, war das
Gebäude 1878 mit 150 Sträflingen besetzt; im ganzen Reiche erleiden jährlich 5—600 Euro-
päer Freiheitsstrafen.

Das nördlich an die Nilgiris anstossende Hügelland ist Hauptsitz der Lingaiten, Wira
Saiwa. Im nördlichen Indien wurden die indischen Denker schon im ersten christlichen Jahr-
hundert mit den Lehren des Christenthums bekannt, Professor A. Weber in Berlin hat aus
Sanskritwerken Beweisstellen der Ankunft von Missionären in Indien ausgezogen: aber dem süd-
lichen Indien war es vorbehalten, gegen den Ausgang des christlichen Mittelalters den Bräh-
manismus um eine religiöse Sekte zu bereichern, auf deren an das Monotheistische streifenden
Verehrung des Gottes Siwa die Jahrhunderte lange Nachbarschaft aufstrebender christlicher Ge-
meinden nicht ohne Einfluss geblieben sein wird.')

Im Gebiete der kanaresischen Sprache, sohin Maissur, den Süden von Bombay und
Theile von Haidarabad und Madras umfassend, war der Stolz der Brähmanen mit ihrem Wissen
nicht in Einklang geblieben. In der Stadt Kalyani im Herzen von Dekhan, nördlich von Kulbarga,
hielt ein Zweig der bereits bei Erwähnung der Ruinen von Kalyani, der Küstenstadt gleichen
Namens, Bombay gegenüber, genannten Tschalukya- Könige Hof und bestieg 115 6 Widschala den
Thron. Sein erster Minister wurde Basawa. Mit dem Schatze des Fürsten erwies der Minister
den kleinen Leuten grosse Wohlthaten und gewann sie für sich durch die ihnen eröffneten Aus-
sichten für eine bessere Zukunft. Die Kastenunterschiede werden als eine Erfindung der Brähmanen
verpönt und Alle, die sich an dem von Basawa gebotenen Mahle betheiligten, veranlasst, gemein-
sam aus den herumgereichten Schüsseln zu essen, aus Pfeifen gemeinsam Tabak zu rauchen. Alle
Menschen sind gleich heilig und können zum Tempel Gottes werden; die Frau ist dem Manne
ebenbürtig, so lange sie sich der Achtung nicht durch unsittlichen Lebenswandel unwerth macht
Alle Hindu-Götter sind geringwerthig gegen den Gotte Siwa, auf den die ganze Götter-Verehrung
übertragen wird. Dem Klerus wird nach buddhistischem Vorbilde die Richtung auf das Religiöse
gegeben, Reiseprediger verkünden die neue Lehre. Nicht blos das Volk, auch Brähmanen wandten
sich dem neuen Propheten zu; der Erfolg erregte aber den Argwohn des Fürsten, eines Dschaina
(S. 23.) und statt bekehrt zu werden, ergriff er Massregeln zur Vernichtung der neuen Sekte.
Diese beschloss seinen Untergang; 1165 wird der König von Fanatikern ermordet und in einem
Blutbade, das ein Seitenstück zur Pariser Bartholomäus-Nacht bildet, kommt der Sieg der Gegner
zum Ausdrucke. An verschiedenen Orten Südindiens folgten ähnliche Massenmorde, Dschaina
und die Reste der Buddhareligion (S. 62) werden am blutigsten verfolgt, in Madura begehen die
Siwaiten noch heute eine Erinnerungsfeier an die damalige Pfählung der Buddhisten. Die moham-
medanische Ueberschwemmung Indiens brachte im Dekhan den Streit um die Herrschaft zum
Stehen und ersparte dem nördlichen Indien gleiche Aeusserungen fanatischen Religionshasses. Unter
der englischen Herrschaft war gleichfalls kein Raum mehr für Bestrebungen, die auf gewaltsamen
Umsturz ausgingen und diesen Einflüssen ist es zuzuschreiben, dass die Reinigung des Glaubens,
wie sie die Lingaiten-Führer durchzusetzen hofften, über den ursprünglichen Heerd der Bewegung
nur wenig hinausgriff.

Im Laufe der Jahrhunderte wurde der Sektenname zur Kastenbezeichnung und innerhalb
der Sekte enstanden Abtheilungen mit Ansprüchen auf Vorrechte, auf deren Gewährung so strenge
gesehen wird als unter andern Gläubigen; die Priester, Dschangam genannt, sind nicht weniger

4) So C. P. Brown: On the Creed and Literature of the Jangams, Madras 1840, dessen Ausführungen in den amtlichen Madras
Census Report (1875; aufgenommen sind.

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