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WAS IST DER STURM?

wir haben die Freuden und Schmerzen ah dieser Jahre
geteilt. Wenn die Freuden groß waren, so sind die
Schmerzen noch größer gewesen. Die Freuden waren die
Erkenntnisse der neuen Kunst und des Schaffens. Die
Freuden waren manche Stunden, erfüllt von kaum faß-
barem menschlichem Verstehen. Die Schmerzen waren,
daß so wenig Menschen die neue Kunst aufnahmen, wa-
ren die Mißverständnisse der Unverständigen, waren der
Hohn und die Verachtung, die über unsere Freunde und
uns ausgegossen wurden, waren die Enttäuschungen, die
uns von manchen Freunden bereitet wurden, die sich
plötzlich vom STURM abwandten, waren die mensch-
lichen Schwächen und Mängel, nicht zuletzt unsere
eigenen, die das Werk hemmten.
Das Wort DER STURM hat Else Lasker-Schüler geprägt,
die erste Frau Herwarth Waldens. Unter diesem Zeichen
hat alles gestanden, was nun zwangsläufig geschah. Der
Sturm reinigt, entwurzelt, zerstört. Aber er braust auch
als der Heilige Geist durch die Welt. Er ist die immer-
währende Verwandlung, die Erneuerung von Grund auf,
das Signal, in dem die geistige Wirklichkeit des Voll-
kommenen sich mit der Hinfälligkeit und der Hoffnung
des irdischen Lebens begegnet. Die — wenn auch oft
verzweifelte — Hoffnung bringt uns die Freuden, unsere
Hinfälligkeit die Schmerzen.
Meine erste Begegnung mit Herwarth Waiden fand
zwischen zwei Zügen statt. Lotte Möbius, eine Freundin
aus der Kinderzeit, schickte mir eines Tages eine äußer-
 
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