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IN DER ERNTEZEIT

in den höchsten Zimmern des Turmes. Dort ist auch das
Atelier. In den unteren Stockwerken sind Werkstätten
und Unterrichtsräume. Wir blickten in den goldblauen
Herbsttag über den gelassen und breit hinwogenden
Rheinstrom und sahen die ferne hohe Brücke sich in den
Himmel hinein wölben. Ich war tiefbeglückt.
Ich saß mit den beiden Menschen im Turmzimmer.
Es war Herbst. Wir erkannten die Zeit der Ernte. Es war
unsere Ernte, die Saat, die wir ausgestreut. Es war die
Ernte des Bauhauses und des STURM. Vieles war auf stei-
nigen Boden gefallen, vieles war verweht. Manches hat
Frucht getragen. Wir gedachten der großen Toten Klee
und Eandinsky, Waiden und Blümner. Wir grüßten im
Geiste über das Meer den greisen Feininger.
Wir gedachten aller Lebenden und Toten der Jahre um
uns. Wir gedachten der Weisheit und Güte von Gertrud
Grunow, die heimgegangen ist. Hatte sie nicht gesagt:
»Schreyer — lernen Sie erst das Wort richtig, ehe Sie ma-
len!« Ich lerne immer noch an dem Wort. Hatte sie nicht
gesagt: »Muche, Sie malen mit dem Vogelauge!« Wahr-
lich, ich sah es auch. Alle Bilder Georg Muches schweben,
die ungegenständlichen wie die gegenständlichen. Sie
schweben im Licht. So wie das Licht die Erde umkreist.
Die Güte des Lebens hat dem Maler ein Turmzimmer
gegeben, von dem aus er nur Strom und Himmel sieht,
eine Brücke und die Sonne und des Nachts alle Gestirne.
Fern von der Stadt, über den Menschen.
 
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