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IL RAFFAEL'S JUGEND UND LEHRZEIT.

wurde. Wissensdrang und Kunstliebe beherrschten ihn in gleichem Maasse,
wie die von ihm gestiftete Bibliothek offenbart, deren reiche Bücher-
schätze mit der glänzenden Ausstattung der Räume wetteiferten. Durch
kunstreiche Maler liess der Herzog alle Helden des Geistes der alten
Heidenwelt wie der christlichen Zeit von Moses und Salomon bis auf die
heiligen AugusHnus und Thomas herab, von Homer, Piaton und Aristoteles
bis zu Dante und Petrarca schildern, und diese Phantasieporträts im Biblio-
theksaale aufstellen. Auch Apoll mit den neun Musen, der Schutzpatron
der Humanisten, fehlte nicht. In den Schränken aber prangten in trefflicher
Auswahl die Werke des »heiligen Collegiums der Theologen«, der alten
und neuen Philosophen, der berühmtesten Poeten und vornehmsten Juristen.
Ob die landschaftlichen Eindrücke aus der Jugendzeit auf Raffael's
Empfindungen nachhaltig wirkten, lässt sich schwer bestimmen; einen
tiefen Einssuss möchte man kaum annehmen, da sie durch die späteren
mächtigen Reize von Florenz und Rom wohl zurückgedrängt werden
mussten. Dagegen hat die durch Herzog Federigo nach Urbino gelenkte
geistige Strömung unstreitig lange Wellenkreise zuriickgelassen, welche in
dem ganzen Leben Raffael's nachzitterten. Ein humanistisch gesinnter
Hof, eine Kunst, welche dem Heroencultus dient, die grossen Männer der
Vergangenheit nicht als blosse Personificationen abstracter Begriffe fasst,
wie das Mittelalter that, sondern als selbständige lebendige Personen ver-
herrlicht, eine heitere und glänzende Bildung, begünstigt durch die Ab-
wesenheit wilder Parteileidenschaften, gefördert durch die Erschlossenheit
gegen die grosse Welt, das waren die ältesten Traditionen in Raffael's
Leben. Sie hafteten um so stärker, als Raffael's Familie für Herzog
Federigo's Persönlichkeit und Thaten die regste Theilnahme zeigte.
Raffael's Urgrossvater Peruzzolo war um die Mitte des Jahrhunderts
aus dem kleinen zwischen Urbino und dem Meere gelegenen Flecken Col-
bordolo in die Hauptstadt der damaligen Grafschaft eingewandert. Der
Grossvater Sante erscheint als ein aufzeigender Mann, der durch Glück im
Handel und Wandel Grundeigenthum und ein Haus in der Contrada del
monte — Raffael's Geburtshaus — erwarb. Wie es kam, dass Sante's Sohn,
Giovanni, Maler wurde, wird uns nicht berichtet. Giovanni Santi erzählt
selbst, dass er erst, nachdem er die mannigfachsten Erwerbszweige ver-
rucht, die wunderbare Kunst der Malerei ergriffen habe. Dafür, dass er
die künstlerische Erziehung so spät begann, hat er es überraschend weit
gebracht. Und die Malerei war nicht die einzige Kunst, welcher Giovanni
seine Musse widmete. Die Thaten Federigo's weckten seine dichterische
Krast und begeisterten ihn zu einer Lebensbeschreibung des Herzo'gs in
Terzinen. Wir ehren die treue Hingabe des biederen Giovanni an das
 
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