158 V. DIE DECKENBILDER IN DER SIXTINISCHEN KAPELLE.
jetzt aber verdient betont zu werden, dass es Roms Einfluss war, welcher
das Erfassen grosser und kühner Gedanken erleichterte. Hier lebt man
in der Genossenschaft der besten Männer des Alterthums, hier athmet
man eine weltgeschichtliche Luft. Alles Kleine und Gewöhnliche erscheint
doppelt klein und gewöhnlich, das Grosse und Machtvolle dagegen wie
selbstverständlich. Ein wie geringer Vorrath von künstlerischen Gedanken
genügte doch eigentlich dem Haushalte der älteren Florentiner! Das
Leben der Maria, des Johannes und insbesondere des heiligen Franciscus
erfüllte vorzugsweise ihre Phantasie. Sie wurden nicht müde, dasselbe
zu schildern, immer und immer wieder dieselben Scenen zu malen. Wie
oft ist z. B. das Begräbniss des heiligen Franciscus dargestellt, der Vor-
gang mit geringen Abweichungen dann noch auf andere Heilige (Augustin,
Fina) übertragen worden. Diese Beharrlichkeit verdient durchaus keinen
Tadel. Die Hellenen waren einen ähnlichen Weg gegangen. Sie wieder-
holten unverdrossen einige wenige Gestaltentypen, bis sie der plastischen
Formen und Bewegungen vollkommen Herr wurden und die Bildungs-
gesetze des menschlichen Leibes in voller Klarheit schauten. Auch für
die älteren Italiener wurde die Beschränkung auf einen engeren Dar-
stellungskreis zu einer vortrefflichen Schule. Die Sorge, anschaulich zu
erzählen und deutlich und verständlich zu schildern, plagte sie nicht. Die
häufige Wiederkehr derselben Scenen hatte den Inhalt abgeschlifsen und
zum Gemeingut der Volksphantasie gemacht. Die Künstler durften
ungehemmt ihre Kraft und ihre Aufmerksamkeit den formellen Seiten
des Werkes zuwenden, die Vollendung des Ausdruckes, der Farbe, der
Zeichnung anstreben. Mit dem Uebertritte der Kunst nach Rom erscheint
die Schule geschlossen. Im Besitze der Vollkraft kennt der Künstler
keine inhaltlichen Schranken. Universell, frei von jeder localen Besonder-
heit, wie ihre Formensprache geworden war, ebenso allumfassend wurde
der Darstellungskreis, schöpferisch in jener sind sie auch von tiessinniger
Erfindungskraft in den Gegenständen der Schilderung. Michelangelo und
Rassael in Rom haben der Malerei eine viel reichere Summe neuer und
grosser Gedanken zugeführt, als das ganze vorhergehende Jahrhundert.
Ueber den Fortgang der Arbeit Michelangelos sind wir durch seine
Briefe an den Vater und an den Bruder Buonarroto gut unterrichtet.
Michelangelo begann dieselbe am 10. Mai 1508.*) Er entwarf zunächst
*) Sonnabend vor Pfingslen waren
bereits die Gerüste ausgeschlagen. Dia-
rium des Paris de Grassis cit. v. E. Müntz.
Gaz. d. b. a., 2- per. XXV. 386.
jetzt aber verdient betont zu werden, dass es Roms Einfluss war, welcher
das Erfassen grosser und kühner Gedanken erleichterte. Hier lebt man
in der Genossenschaft der besten Männer des Alterthums, hier athmet
man eine weltgeschichtliche Luft. Alles Kleine und Gewöhnliche erscheint
doppelt klein und gewöhnlich, das Grosse und Machtvolle dagegen wie
selbstverständlich. Ein wie geringer Vorrath von künstlerischen Gedanken
genügte doch eigentlich dem Haushalte der älteren Florentiner! Das
Leben der Maria, des Johannes und insbesondere des heiligen Franciscus
erfüllte vorzugsweise ihre Phantasie. Sie wurden nicht müde, dasselbe
zu schildern, immer und immer wieder dieselben Scenen zu malen. Wie
oft ist z. B. das Begräbniss des heiligen Franciscus dargestellt, der Vor-
gang mit geringen Abweichungen dann noch auf andere Heilige (Augustin,
Fina) übertragen worden. Diese Beharrlichkeit verdient durchaus keinen
Tadel. Die Hellenen waren einen ähnlichen Weg gegangen. Sie wieder-
holten unverdrossen einige wenige Gestaltentypen, bis sie der plastischen
Formen und Bewegungen vollkommen Herr wurden und die Bildungs-
gesetze des menschlichen Leibes in voller Klarheit schauten. Auch für
die älteren Italiener wurde die Beschränkung auf einen engeren Dar-
stellungskreis zu einer vortrefflichen Schule. Die Sorge, anschaulich zu
erzählen und deutlich und verständlich zu schildern, plagte sie nicht. Die
häufige Wiederkehr derselben Scenen hatte den Inhalt abgeschlifsen und
zum Gemeingut der Volksphantasie gemacht. Die Künstler durften
ungehemmt ihre Kraft und ihre Aufmerksamkeit den formellen Seiten
des Werkes zuwenden, die Vollendung des Ausdruckes, der Farbe, der
Zeichnung anstreben. Mit dem Uebertritte der Kunst nach Rom erscheint
die Schule geschlossen. Im Besitze der Vollkraft kennt der Künstler
keine inhaltlichen Schranken. Universell, frei von jeder localen Besonder-
heit, wie ihre Formensprache geworden war, ebenso allumfassend wurde
der Darstellungskreis, schöpferisch in jener sind sie auch von tiessinniger
Erfindungskraft in den Gegenständen der Schilderung. Michelangelo und
Rassael in Rom haben der Malerei eine viel reichere Summe neuer und
grosser Gedanken zugeführt, als das ganze vorhergehende Jahrhundert.
Ueber den Fortgang der Arbeit Michelangelos sind wir durch seine
Briefe an den Vater und an den Bruder Buonarroto gut unterrichtet.
Michelangelo begann dieselbe am 10. Mai 1508.*) Er entwarf zunächst
*) Sonnabend vor Pfingslen waren
bereits die Gerüste ausgeschlagen. Dia-
rium des Paris de Grassis cit. v. E. Müntz.
Gaz. d. b. a., 2- per. XXV. 386.