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DAS VISIONÄRE ELEMENT IN DEN VOTIVBILDERN. 291
Contraste bilden die beiden äusseren wie die beiden inneren Figuren,
Paulus und Magdalena sowohl wie Johannes und Augustinus; Contraste zu
einander bilden ferner die beiden Figuren auf jeder Seite, Paulus und
Johannes, und dann wieder Augustinus und Magdalena; wozu dann noch
wieder Kreuzungen treten: einerseits die älteren Paulus und Augustinus,
andererseits die jugendlichen Magdalena und Johannes.
Gehoben wird diese Vertheilung der Charaktere und gut abgewogene
Gliederung des Ausdruckes noch durch die harmonische Farbengruppirung.
Zwar sind durch Reinigen, Putzen und sogenanntes Restauriren die Mittel-
töne, die feineren Uebergänge und der zarte Schmelz des Colorits ver-
loren gegangen, doch erkennt man noch deutlich das von Raffael fest-
gehaltene Farbensystem. Den stärksten und intensivsten Ton giebt die
gelbe mit Gold gestickte Tunica der Cäcilia; in Paulus dominirt das Roth
des Mantels, durch das grüne Untergewand gehoben; Magdalenas Kleid
zeigt eine blauviolette Färbung. Die Milderung und Vermittelung der
Grundfarben wird durch die beiden Heiligen im Hintergrunde bewirkt,
die also in Bezug auf das Colorit dieselbe Bedeutung besitzen, wie hin-
sichtlich des Ausdruckes und der Stimmung.

Das Bild der heiligen Cäcilia hat den Künstler in die Welt der
Träume und Visionen, in eine ihm bisher unbekannte Welt geführt. So
realistisch auch das Beiwerk verkörpert erscheint, wie z. B. das von der
Hand Giovannis da Udine gemalte Musikgeräthe zu Füssen der Cäcilia,
so viel Leben und Kraft auch den einzelnen Gestalten innewohnt: immer
bleibt der Gesammteindruck ein mystisch - symbolischer. Ein ähnlich
gesteigert kirchliches Wesen ofsenbaren auch die gleichzeitig von Rafsael
geschasfenen Madonnen: die Madonna di Foligno und jene mit dem
Fische. In Votivbildern erhalten naturgemäss erhöhte Empfindungen
einen weiteren Raum, kann auf der anderen Seite eine an das Ceremonielle
anstreifende symmetrische Anordnung nicht umgangen werden. Man darf
nicht sagen, dass Rafsael nur auf fremden Anstoss hin, äusserlich fügsam
solche Scenen darsteilte. Gerade das neue Element reizte seine Phantasie
und lockte ihn zu höchster Anspannung seiner Kräfte. Auch entdeckte
er in jedem Motive Züge, die seiner Natur entsprachen und ihn geradezu
heimathlich anwehten. Aber er verdammte seine frühere Richtung nicht.
Während er an den dramatisch bewegten Fresken in der Stanze Heliodor's
arbeitete, ergreifende Visionen verkörperte, erhabene Gnadenbilder malte,
übermannte ihn die Sehnsucht nach den alten einfachen Gegenständen
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