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Springer, Anton; Osborn, Max [Editor]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0039
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8. Carstens und Thorwaldsen.

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als auf dem antik-idealen Boden bewegte sich Thorwaldsen im Kreise der monumentalen Skulptur,
es sei denn, daß ihm, wie bei einzelnen Grabmonumenten und Grabreliefs, die er schuf, der
Anlaß zur Einkehr in das ideal-allegorische Gebiet gegeben wurde. In den späteren Jahr-
zehnten führte ihm der Neubau der Frauenkirche in Kopenhagen zahlreiche Aufgaben religiöser
Natur zu. Im Giebelfelde schilderte er die Predigt des Johannes; die Vorhalle der Kirche
schmückte er mit einem Relieffries, den Einzug Christi in Jerusalem darstellend, das Innere mit
den Statuen der zwölf Apostel und des Heilands, wie er liebevoll allen Müden und Beladenen
die Arme einladend entgegenhält. Ob sich die Helden des christlichen Himmels ungezwungen
in antike Formen kleiden, plastisch voll-
kommen versinnlichen lassen, darüber
ist viel gestritten worden. Jedenfalls
hat Thorwaldsen in der Christusstatue
(ursprünglich für die Schloßkapelle be-
stimmt, 1821 bis 1827 gearbeitet, Abb.
23) ein Werk von ernst erhebender
Wirkung geschaffen, dessen künstlerische
Bedeutung man recht begreift, wenn
man es mit der kaum minder berühm-
ten Christusstatue Danneckers (Regens-
burg, Gruftkapelle des Fürsten Taxis)
vergleicht. Joh. Heinrich Dannecker
(1758—1841) in Stuttgart war der
berühmteste Bildhauer Süddeutschlands
im ersten Drittel des neunzehnten Jahr-
hunderts und jedenfalls nach Thorwaldsen
der bedeutendste Vertreter der klassischen
Tendenzen in der Skulptur. Seine
Ariadne gehört noch jetzt zu den popu-
lärsten Werken jener Epoche; an ihr
gefällt den meisten, was Danneckers
Einfluß aus die Fachgeuossen hemmte:
die der älteren Schule entstammende
glatte, weiche Behandlung der Formen.
Jedenfalls verdient seine kolossale Schiller-
büste (Abb. 24), in der er Natur-
wahrheit mit einem idealen Zug schön verknüpfte, größere Anerkennung. Sie zeigt, daß
Dannecker wenigstens im Porträtfach sein Vorbild Canova überragt.
Christlich religiöse Aufgaben führte Thorwaldsen willig, selbst freudig durch, mochte auch
seine Künstlernatur sich nur iu der Antike heimlich fühlen. Gegen die ihm zugemutete Ver-
körperung der nordischen Göttersage aber verhielt er sich spröde. Diese Versuche zu wagen,
blieb dem jüngeren Geschlecht skandinavischer Bildhauer überlassen, wie dem Schweden Benedikt
Fogelberg (1786—1854), der seine römischen Studien benutzte, um von den hier geschauten
antiken Göttertypen eine Brücke zu den Gestalten der skandinavischen Mythologie zu schlagen.
Von Adonis fand er den Übergang zu Balder, von Herakles zu Thor, von Zeus zu Odhin.
Auch Schüler Thorwaldsens, wie H. W. Bissen (1798—1868) oder H. E. Freund (1786—1840),
huldigten dem nordischen, freilich nur zu oft der klaren maßvollen Bestimmtheit entbehrenden
2*

28. Christus, von B. Thorwaldsen.
Kopenhagen, Frauenkirche.
 
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