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Springer, Anton; Osborn, Max [Hrsg.]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0040
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Erster Abschnitt: 1750—1819.


24. Schiller, von Dannecker. Stuttgart.

Sagenkreise (Abb. 25). Die Vor-
herrschaft konnte aber auch ans
skandinavischem Boden der Antike
nicht geraubt werden. Bereits vor
Thorwaldsen hatte ihr der Schwede
Tob. Ser gell (1740—1814)
zahlreiche Bewunderer verschafft, nnd
vollends in Thorwaldsens Heimat
erweckte der berechtigte Stolz, mit
dem man zu dem größten Künstler
des Nordens emporblickte, die Lust
zur Nacheiferung. Es genügt, auf
den begabtesten unter den späteren
Bildhauern Dänemarks, auf Jens
Adolf Jerichau (1816—1883),
hinzuweisen. In seinem Jäger, der
einer Pantherin das Junge geraubt
und von der Mutter angefallen wird
(Abb. 26), macht sich das leiden-
schaftliche Element stärker geltend
als in Thorwaldsens Schöpfungen,
dagegen schließt Jerichau sich ihm
in seinen Reliefs und in der Gruppe
des Herakles und der Hebe enger
an. Sogar die Kunstindustrie
Kopenhagens dankt Thorwaldsen
mittelbar ihren Aufschwung.
Die reichste Gefolgschaft des
dänischen Meisters treffen wir natür-

lich nicht in seiner Heimat, sondern in Rom an. Nicht nur seine unmittelbaren Schüler, unter
denen der Italiener Pietro Tenerani (1789—-1869), die Deutschen Rudolph Schadow (1786
—1822; die Sandalenbinderin und die Spinnerin sind seine bedeutendsten Werke) und Emil
Wolfs (1802—1879), der Schöpfer des berühmten Fischerknaben in Potsdam, der verwundeten,
von ihrer Gefährtin unterstützten Amazone, der Judith, die hervorragendsten waren; alle Bildhauer
Roms, die der klassischen Richtung huldigten, traten in seine Bahnen. Wie ein Patriarch lebte
Thorwaldsen in dem römischen Künstlerkreise. Auch wer seiner Lehre nicht folgte, verehrte
die Person des Meisters, der wie kein anderer hoch stand und dennoch in seinem kindlichen
Sinn und einfältigen Herzen mit dem Jüngsten und Kleinsten der Genossen um die Wette
arbeiten, um die Wette scherzen konnte. Doch zunächst gab es noch keine Gegensätze in der
künstlerischen Auffassung, keine Parteien in den Künstlerkreisen. Alle schwuren einmütig zur
Fahne des klassischen Stils.
Es ist merkwürdig, welche Anziehungskraft Rom und in Rom die Antike zu einer Zeit
auf die Künstler übte, in der das Leben dort gegen früher so geringe Anregungen, das Auge
so wenige Vorbilder empfing. Seit der französischen Okkupation verarmte und verödete die
ewige Stadt; die Museen waren geplündert, ihre kostbarsten Schätze als Kriegsbeute nach Paris
geschleppt worden. Beinahe möchte man glauben, die Phantasie habe ersetzt, was der An-
 
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