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Springer, Anton; Osborn, Max [Hrsg.]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0046
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Erster Abschnitt: 1750—1819.


sich gegen die Wahrheit dieses
Satzes. Der Künstler, der Mühe
der Erfindung überhoben, darf
seine ganze Kraft auf die Form
und den Ausdruck verlegen.
Goethe hat aber bei einem an-
deren Anlaß noch ein zweites
goldenes Wort gesprochen. „Daß
doch der bildende Künstler mit
dem Poeten wetteifern will, da
er doch eigentlich durch das, was
er allein machen kann und zu
machen hätte, den Dichter zur
Verzweiflung bringen könnte."
Beide Aussprüche lassen sich ver-
einigen, wenn man den ersten
so erläutert, daß die Anlehnung
an einen großen, in unserer
Bildung fest und allgemein wur-
zelnden Dichter — und nur ein
solcher ist gemeint — die Pflicht
des Künstlers nicht ausschließt, die
poetischen Gestalten noch einmal
selbständig in seiner Phantasie zu
formen. Sonst liefert er nur Jlln-

31. Johann Heinrich Meyer. Zeichnung von I. Schmetter. strationen zu Dichterwerken. An
(Phot, von L. Held, Weimar) dem Unvermögen der Künstler,
die ihnen gestellten Aufgaben
frei zu erfassen, scheiterten die Bestrebungen der „W. K. F." weniger als an dem didaktischen
Element, das sich dem Unternehmen beigemischt hatte. Erfolgreich hätte es sich überhaupt nur
in einer kunstfreundlichen Zeit entwickeln können. Zur Kunstfreude waren aber damals die
deutschen Zustände nicht angetan. Die Kriegsunruhen und die politische Unsicherheit gestatteten
keine Verwendung der Kunst im öffentlichen Dienste. Die allgemeine Verarmung führte aus
privaten Kreisen der Kunst nur wenige Förderer zu. Vor allem hemmend wirkte der dürftige
Verkehr der Künstler mit dem Publikum. Wir kennen die Tätigkeit der älteren Künstler-
gegenwärtig besser und vollständiger, als es ihren Zeitgenossen möglich war. Öffentliche
Sammlungen, Ausstellungen bieten uns ein treues und umfassendes Bild ihres Wirkens,
während ihre Werke, solange sie lebten, nur einem engen Kreise von Freunden zugänglich
waren, gewöhnlich aus der Werkstatt unmittelbar in die verschlossenen Räume des Besitzers
wanderten. Vollends was Künstler in unseren Tagen schassen, wird in der Regel nach
kurzer Zeit Gemeingut aller Gebildeten. Auf diese Art weckt jedes einzelne bedeutende Kunst-
werk einen reichen Widerhall, die Kunstrichtungen schlagen breitere Wurzeln, die Künstler treten
in engere Wechselbildungen zueinander. Im Anfang des Jahrhunderts wußten die Künstler-
wenig von ihren Genossen, das Volk noch weniger von seinen Künstlern. Bei der Abgeschlossen-
heit der Künstler sanden sie nur langsam Verständnis ihres Wirkens und Nachfolge in ihren
Zielen. Wir waren eben damals eine literarisch gebildete, aber keine kunstpflegende Nation.
 
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