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Springer, Anton; Osborn, Max [Hrsg.]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0067
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1. Cornelius und die ältere Münchener Kunst.

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Gekränkt und verbittert, aber dennoch mit schwerem Herzen war Cornelius von München
geschieden. Die Sehnsucht nach der Rückkehr in die süddeutsche, lebensfrohe, katholische Stadt
steigerte sich durch die ersten Berliner Erfahrungen. Die Arbeiten, mit denen er sich in der
für ihn völlig neuen Welt einführte, z. B. das Ölbild: „Christus in der Vorhölle", erregten
Mißfallen; der König wies anfangs dem Künstler keinen festen Wirkungskreis an. Friedrich
Wilhelm schien, wie es auch bei Tieck und Mendelssohn der Fall war, die Gegenwart des
Meisters zu genügen, höchstens daß er ihm kleinere Gelegenheitsarbeiten (Entwürfe zu lebenden
Bildern nach Tasso u. a.) auftrug. Erst als in der Phantasie des Königs der Plan eines
neuen großartigen Domes in Berlin und in Verbindung mit diesem Bau das Projekt eines
Campo santo, eines Friedhofs für die königliche Familie, gereift war, gelangte Cornelius in
das rechte Fahrwasser. Die vier Wände des Campo santo sollten mit Fresken geschmückt
werden, zu denen Cornelius in den Jahren 1843 —1845, zum Teil in Rom, die Entwürfe
zeichnete. An den Kartons arbeitete er sodann mit einzelnen Unterbrechungen, bis ihn 1867
noch vor ihrer Vollendung der Tod im vierundachtzigsten Jahre abrief. Durch jenen Auftrag
endlich gewann Cornelius die volle Freiheit, den längst gefaßten Plan eines christlichen Epos,
einer neuen Divina comedia zu verwirklichen. Hier hemmte ihn keine feste Tradition, wie bei
streng kirchlichen Bildern, hier konnte er dichten, die Einzelfzenen nach tiefsinnigen Gedanken
ordnen und zusammensassen, hier das Phantastische Element, das in seine Formenwelt hinein-
spielt, wirksam walten lassen. Aus dem einfachen Bibelspruch vom Tode als dem Sold der
Sünde und vom ewigen Leben in Christo (Römer 6, 23) entwickelt er ein umfassendes System
von Bildern und Beziehungen, wozu ihm die Evangelien und die Apokalypse den Stoff lieferten.
Er erzählt die Erlösung von der Sünde durch Christi Geburt und Tod, schildert die Göttlich-
keit Christi und die Übertragung seiner Macht auf die Kirche als Bürgschaft der Erlösung und
führt uns endlich das Ende des irdischen und den Anfang des ewigen Lebens vor Augen. In
kunstvoller Gliederung greifen die Bilder ineinander. Die Fresken einer jeden Wand hängen
durch einen gemeinsamen Grundgedanken zusammen, der Ton eines jeden Hauptbildes klingt
ferner in der Predelle und dem Lünettenbilde unter und über ihm an, alle Predellenbilder
endlich erscheinen ebenfalls durch verwandten Inhalt unter sich verbunden. Liegt offenbar der
Schwerpunkt des Werkes in der zyklischen Komposition, so üben doch auch mehrere der Dar-
stellungen, für sich betrachtet, einen bedeutenden Eindruck, den größten jedenfalls die apokalyp-
tischen Reiter (Abb. 50), trotzdem der Vergleich mit Dürers berühmtem Holzschnitt in der
Apokalypse nahe liegt, da sich in dieser Szene der großartige phantastische Zug seiner Natur
am freiesten gehen lassen durfte.
Cornelius war mehr ein starker als ein reicher Geist. Für mannigfache Seiten des
Seelenlebens blieb seine Phantasie spröde, für manche Teile der Erscheinungswelt war sein
Interesse gering. Durch gesteigerte Energie und erhöhte Kraft des Ausdrucks ersetzt er den
enger begrenzten Umfang seiner schöpferischen Kraft. Er selbst hatte eindringlich gelehrt: „Die
wahre Kunst kennt kein abgesondertes Fach, sie umfaßt die ganze sichtbare Natur". In seinen
Werken tritt uns aber die menschliche Natur vorwiegend nur von einem Gesichtspunkte be-
trachtet entgegen, in einer bestimmten Beleuchtung, die alle andern Stimmungen und Er-
scheinungsformen in Dunkel läßt. Daß allmählich mit dem Wechsel der Anschauungen und
Kulturtendenzen auch andere Auffassungsweisen als die heroisch-phantastische ihr Recht ver-
langten, kann daher nicht schlechthin als Abfall von der wahren und hohen Kunst beurteilt
werden. Ebensowenig darf man jedoch, wie jetzt so häufig geschieht, Cornelius' Bedeutung
unterschätzen. Die organische Verbindung der Malerei mit der Architektur, in Deutschland ab-
gesehen von der Dekoration katholischer Kirchen seit Jahrhunderten nicht versucht, war eine Tat.
 
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