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Springer, Anton; Osborn, Max [Editor]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0114
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Zweiter Abschnitt: 1819—1850.

Horace Bernet ist der berühmteste, aber nicht der einzige Vertreter der Schlachtenmalerei
und des Soldatenbildes. Neben ihm hatten N. T. CH artet (1792—1845) und Raffet mit
dem größten Erfolge besonders die humoristischen Seiten des Soldatenlebens gezeichnet. Einen
ernsteren Ton schlug gewöhnlich Hippolyte Bellangs (1800—1866) an, dessen Schilderungen
aus dem Soldatenleben mehr durch die treffliche Charakteristik der einzelnen Gestalten als durch
die malerische Haltung in weiteren Kreisen Beifall fanden (Abb. 95). In der jüngeren Generation
tat sich zunächst Isidore Pils (1813—1875) hervor, dem der Krimkrieg zahlreiche Motive
der Schilderung darbot. Seit dem Ende der sechziger Jahre aber haben vor allem zwei
Künstler die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen und das glänzendste Lob empfangen:
Alphonse de Neuville (1836—1885), vortrefflich in der Wiedergabe des wild leidenschaftlichen
Kampfelements (Die letzten Patronen, Abb. 96), und sodann Edouard Detaille (geb. 1848),
ein Schüler Meissoniers, der wie sein Meister ein Virtuose in der Kunst ist, die Dinge groß
zu sehen und klein zu zeichnen, und trotz der winzigen Dimensionen feine Gestalten mit epi-
grammatischer Schärfe charakterisiert. Daß bei den jüngsten Soldatenmalern an die Stelle des
gemütlichen Humors ein herber Ernst und eine gewisse Bitterkeit der Empfindung getreten ist
und der Feind mit geringer Gerechtigkeit behandelt wird, kann nicht Wunder nehmen. Die
parteiische Auffassung vermindert nicht die künstlerischen Verdienste der Genannten, besonders als
Zeichner hervorragender Männer.
6. Ingres und die Wiederbelebung der klassischen Richtung.
Die Pariser Weltausstellung von 1855 bereitete den Kunstfreunden eine merkwürdige Über-
raschung. Einstimmig wurde von der Kritik wie von der öffentlichen Meinung als der größte Meister
des Landes und des Zeitalters e-in Künstler proklamiert, von dem bis dahin die Fremden und Laien
sich nur eine dunkle Vorstellung gemacht und selbst die Einheimischen und viele Fachleute nur
mit kühl gemessener Achtung gesprochen hatten. Ein Schüler Davids, ein Greis von 75 Jahren,
Jean Auguste Dominique Ingres (1780—1867), trug die Palme davon und seierte die
höchsten Triumphe. Bis zu seinem zwölf Jahre später erfolgten Tode genoß er unbestritten
die Ehren des ersten Malers von Frankreich. Kehrte die französische Kunst zu ihrem Ausgangs-
punkt zurück, war die mit so großem Pomp in Szene gesetzte Reform der Malerei durch die
Romantiker zu den verlorenen Liebesmühen zu rechnen und kam wirklich Davids Schule wieder
in Aufnahme? Von den zwei Lieblingssätzen Ingres' paßte Wohl der eine: „Die Zeichenschule
ist die einzig richtige Malerakademie", zur Richtung Davids; der andere dagegen: „Olli 8a, eoxiara,
8u tars", offenbart eine starke Abweichung von den Lehren seines Meisters. Ingres war
keineswegs ein starrer Anhänger der älteren klassischen Schule. Schon seine vorzügliche musi-
kalische Begabung deutet darauf, daß feine Phantasie noch anderen als den streng plastischen
Formenkreisen zugänglich war. Ihn zeichnete überhaupt eine ungewöhnliche Empfänglichkeit für
die verschiedenartigsten Gedankenwelten und mannigfachsten künstlerischen Reize aus, und ihn
unterschied von David die feste Überzeugung, daß sich nicht die Kunst aus Kunst pfropfen lasse,
der Maler nicht auf die statuarische Schönheit seiner Gestalten' das ausschließliche Gewicht legen
dürfe, vielmehr von dem Naturstudium ausgehen und dieses zur Grundlage nehmen müsse.
Das Zeichnen — nahezu 1500 Blätter wurden in feinem Nachlaß gefunden — blieb aller-
dings seine Hauptstärke (Abb. 97), die lineare Schönheit betonte er in jeder Komposition,
aber er war nicht blind für feinere und besondere Farbenwirkungen und stellte sie in einigen
Werken offen in den Vordergrund. Dadurch war er zu einer vermittelnden Nolle in der
Kunstentwicklung vortrefflich geschaffen und konnte, nachdem die schroffen Gegensätze bis zur
Erschöpfung sich bekämpft hatten, mit seiner Richtung siegreich durchdringen.
 
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