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Springer, Anton; Osborn, Max [Hrsg.]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0143
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7. Der Ausgang der klassischen und romantischen Richtung in Deutschland.

119

Künstlerisch ist die schwere Aufgabe glücklich gelöst, die Be-
wegung erscheint leicht und ungezwungen, jede Figur überdies
in lebensvoller Wahrheit erfaßt. Die Wirkung der Gruppe
wäre noch größer, wenn die Ziselierung sorgfältiger behandelt
worden wäre. Es fehlte dieses Mal Howaldts Meisterhand,
die das Modell der Lessingstatue so unübertrefflich in die
Erzform übertragen hatte.
Den Übergang zu einer kräftigeren Individualisierung
und lebensfrischeren Wahrheit in plastischen Schilderungen
vollzog Rietschel, von der eigenen naiven Natur angetrieben,
mit frohem Mut. Den weiteren Schritt bis zur malerischen
Auffassung tat er nicht. Die Gefahr dazu lag nahe, als ihm
1858 das große Lutherdenkmal in Worms zur Ausführung
übertragen wurde. Nicht Luther allein, die ganze Reformation,
Luthers Vorläufer und mittätige Zeitgenossen, auch die Städte
endlich, die an dem Werk teilgenommen, sollten durch das
Denkmal verewigt und verherrlicht werden. Die umfang-
reiche Aufgabe drängte zu einem Überschreiten der Grenzen
der Plastik. Rietschel wagte aber nicht einmal so weit
zu gehen, wie Rauch in seinem großen Monument Fried-
richs des Großen. Er baute keine geschlossene Gruppe,
sondern verteilte die Statuen auf einen weiten, architek-
tonisch gegliederten Raum. Tie größere Kühnheit hätte
aber gerade hier eine mächtigere Wirkung erzielt. Dem ,
» o 12^ Raffael, von E. I. Hahnel.
Lutherdenkmal fehlt der einheitliche Ausbau, den einzelnen Leipzig Stadt. Museum.
Statuen der notwendige engere Zusammenhang. Rietschel
war es nur vergönnt, die Statue Luthers im Modell zu entwerfen und Wiclefs Figur anzu-
legen; die Vollendung des Werkes (auch des Lutherkopfes) mußte er seinen Schülern überlassen,
die sich zahlreich um ihn gesammelt hatten und den Kern einer fruchtbaren Bildhauerschule in
Dresden bildeten. Außer Adolf Donndorf (geb. 1835, später in Stuttgart) ist aus diesem
Kreise besonders Johannes Schilling (geb. 1828) hervorzuheben. Schilling hat seinen Ruhm
zuerst durch die anmutig gedachten und formvollendet ausgesührten Gruppen der Tageszeiten
an der Treppe der Brühlschen Terrasse (Abb. 124) begründet und seitdem durch eine Reihe
monumentaler Werke befestigt. Ihm fiel die beneidenswerte und verantwortungsvolle Aufgabe
zu, das große Siegesdenkmal auf dem Niederwald zu schaffen, wobei es das schwere Problem
zu lösen galt, eine plastische Gruppe aufzubauen, die bereits ans weite Entfernungen hin wirkt
und dennoch in der Nähe betrachtet nicht drückt. Rietschels Einfluß ist es vorwiegend zu danken,
daß die Werke der Dresdner Bildhauerschule so lange einen idealen Zug bewahrten und durch
feine Durchbildung glänzten. Unterstützt wurde er darin durch den in München ausgebildeten
Ernst Julius Hähnel (1811 —1891), der neben seinem Meister die größte Wirksamkeit in
Dresden entfaltete. Auch Hähnel hat einzelne schöne Eifolge als Bildhauer aufzuweisen. In
der Raffaelstatue (Abb. 125), die den großen Maler in der von den Romantikern überlieferten
Auffassung verkörpert, gelang ihm ein glücklicher Wurf, in zahreichen dekorativen Arbeiten
bewies er eine leicht fließende, fruchtbare Phantasie. Seine größere Bedeutung liegt aber in
der vieljährigen Lehrtätigkeit, durch die er der letzte bedeutende Vertreter des älteren Klassi-
zismus wurde.
 
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