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Springer, Anton; Osborn, Max [Hrsg.]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0216
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182

Dritter Abschnitt: 1850—1870.

gelten, mit dem er die Vorliebe für realistisch aufgesaßte Szenen aus dem Altertum teilte; doch
gelingt seiner geschickten Hand auch sonst ein kecker Wurf ganz andrer Art (Abb. 189). Jean
Jacques Henner (1829—1905), der bis in die Gegenwart hinein mit unermüdlichem Fleiß
seine gleißenden, wie von feuchtem Dunst umflossenen Frauenkörper aus dem tiefen Samtgrün
schattiger Waldinterieurs hervorschimmern ließ (Abb. 190), bog ganz in die Nachahmung Ti-
zians und der Seinen ein. Jules Lefebvre (geb. 1836) schließt sich mit seinem berühmten
Bilde der „Wahrheit" aus dem Luxembourg (Abb. 191) und anderen ähnlichen Arbeiten an.
Doch während diese Künstler sich sämtlich durch
eine tüchtige Kenntnis des menschlichen Körpers
und ein solides malerisches Können auszeichneten,
sorgte Adolphe William Bouguereau (1825
—1905) durch seine immer süßlicher und por-
zellanhafter werdenden Frauengestalten (Abb. 192)
dafür, daß schließlich die ganze Richtung in Miß-
kredit gebracht wurde. Er wurde nach vielver-
sprechenden Anfängen trotz aller Routine mit den
Jahren zum typischen Vertreter einer mittel-
mäßigen Publikumskunst, der ein wohlgerüttelt
Maß zur Verbreitung schlechten Geschmacks bei-
getragen hat, bis fein Name zum Kinderspott
wurde. Dagegen hat Elie Delauuay (1828
—1891) eine aufsteigende Entwicklung genom-
men, von der noch fast völlig auf lineare Kom-
position gestellten „Diana" des Luxembourg, in
der er sich als glänzender Zeichner (Abb. 193)
bewährte, zu interessanten koloristischen Versuchen,
wie sie in dem Kopf seiner Ophelia und nament-
lich in seinen glänzenden Bildnissen zutage treten.
Die Eleganz und der Schick der Eugenie-Zeit ver-
körpern sich in Charles Chaplin (1825—1891),
der die verführerische Schönheit junger Mädchen von
pikanterBlässe und halb unbewußter, in unbestimmt-
träumerischer Sehnsucht schwelgender Sinnlichkeit
mit der etwas dekadenten Grazie eines moderni-
sierten Rokokomeisters zum allgemeinen Entzücken
seiner Zeitgenossen malte (Abb. 194). Selbst
im Historienbilds wird damals in Frankreich eine
Farbenkunst entfaltet, die auch heute noch imponiert,
nachdem das Genre selbst sich so gründlich überlebt hat, daß jeder Akademiker im ersten Semester
darüber die Achseln zuckt und daß man fast schon versucht ist, gegen diese nun wieder über-
triebene prinzipielle Unterschätzung zu protestieren. Die Schreckensszenen aus den Zeiten des
religiösen Fanatismus, die Jean Paul Laurens (geb. 1838) komponierte, sind in ihrem
packenden psychologischen Ausdruck wie in ihren mächtigen, spanischen Vorbildern entlehnten
Kontrasten von dunkeln und Hellen Partien keine geringen Leistungen (Abb. 195). Und Ferdi-
nand Roybets (geb. 1840) nun wieder mehr niederländische Kostümstücke aus dem siebzehnten
Jahrhundert weisen Farbenzusammenstellungen von stärkstem Reiz ans.

198. Pulcinell, von E. Meissonier. Radierung.
(Gazette des Beaux-Arts)
 
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