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Springer, Anton; Osborn, Max [Hrsg.]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0276
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234

Dritter Abschnitt: 1850—1870.


250. Der Schwur des Spartakus, von E. L. Barrias.

das jüngere Geschlecht aus, indem es
bald auf die bewegtere, blutvollere Plastik
der Renaissance hinwies, bald aus die
üppige Fülle malerischer Formen und
Linien zurückgriff, die das siebzehnte
und achtzehnte Jahrhundert gewagt hatten,
bald die Erfahrungen ins Feld führte, die
es aus eigenem Naturstudium gewann.
Frankreich war in diesem Kampf
gegen das klassizistische Schema die Vor-
macht Europas. Der Reichtum an bild-
hauerischen Talenten, den es dabei in
die Wagschale zu werfen hatte, ist aller-
dings außerordentlich groß; die bewun-
dernswerte künstlerische Kultur des fran-
zösischen Volkes hat vielleicht ihren
imposantesten Ausdruck in dem sicheren
Formgefühl und dem vollendeten Geschmack
gefunden, die auch dem Durchschnitt seiner
plastischen Leistungen eigen sind. Ebenso
wie auf dem Gebiet der Malerei gingen
auf dem der Skulptur während des ver-
gangenen Jahrhunderts weitaus die stärk-
sten Impulse für alle Nationen von Paris
aus. Übrigens zeichnete sich auch der fran-
zösische Klassizismus wenigstens durch das
gleiche solide technische Können aus, das in
der Malerei die David-Schule ihren Nach-
fahren überlieferte. Vor dem völligen Hin-

abgleiten in den Herrschaftsbezirk der niederen Schablone, das wir bedrückten Herzens zu derselben
Zeit in Deutschland beobachten, bewahrte ihn das tüchtige und gewissenhafte Handwerk, das
seine Erzeugnisse stets auf einer respektablen Höhe hielt. Immerhin, es war doch eine Schablone,
die sich herausgebildet hatte und in der offiziellen Kunst ihre Tyrannis übte. Die „klassischen
Formen" blieben Jahrzehnte hindurch das Credo der Akademie, dem sich der ganze Unterricht
zu beugen hatte. Jahrzehnte hindurch hielten sich die Aufgaben für den „xrix äs UomsJ
die gewöhnliche Eingangspforte der französischen Bildhauer zur Anerkennung und zum Ruhm,
in demselben Geleise. Aber da die jungen Leute trotz dieser Eintönigkeit dort wirklich und
rechtschaffen arbeiten lernten, hat auch diese konservative Macht ihre unbestreitbaren Verdienste.
Ohne die Grundlagen, die sie aus dieser Schulzucht mitnahmen, hätten die meisten von denen,
die später von der großen Mutter abfielen, den Kampf gegen sie gar nicht eröffnen können.
Welch vornehmer Wirkungen der französische Akademismus fähig war, hat an erster Stelle
Eugene Guillaume (geb. 1822) bewiesen. Seine Schilderungen aus der Römerwelt,
zumal feine Hauptwerke, die Doppelbüste der Gracchen und die Gruppe der „Römischen Hochzeit"
(Abb. 249), haben in der stolzen Strenge ihrer Umrisse, ihrer Gesichtszüge, ihrer Gewandsalten
eine kühle Hoheit, der eine starke Anziehungskraft innewohnt. In einem arbeitsreichen Leben
von vielen Jahrzehnten hat dieser überzeugte Anhänger des Klassizismus, der durch seine amt-
 
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