Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Springer, Anton; Osborn, Max [Hrsg.]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0421
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
2. Die moderne Malerei in Deutschland.

359

mit der Sinnlichkeit, die den Menschen zu ihrem Sklaven macht, und mit der unerbittlichen
Grausamkeit des Schicksals. Monumentale Porträtbüsten (Liszt, Abb. 384; Nietzsche; Wagner)
spiegeln den Kampf mit diesen Mächten in den Köpfen großer Persönlichkeiten. Die Farben
müssen helfen, das Weiß des Marmors ausdrucksvoller zu steigern; durch buntes, seltenes und
kostbares Gestein, durch Schleifen und Ätzen des Marmors, durch Einfügung von Elfenbein und
Bernstein wird das Bildwerk im Sinne der Antike intensiver dekorativer Effekte fähig gemacht.
Und in dem gewaltigen Werk des sitzenden Beethoven (Abb. 385), dem die Leipziger in ihrem
Museum einen eigenen Raum gebaut haben wie die Amsterdamer der Rembrandtschen Nacht-
wache, tönt alles zusammen, was Klinger ersehnt: berauschende Wirkung für das Auge und
machtvolle Erregung des Geistes. Die Reliefs des Bronzefessels künden wiederum von dem
Kampf zwischen Christentum und Antike, zwischen Innerlichkeit und Schönheitslust, der schon in
der Begegnung von Christus und den Göttern des Olymp vorklang, und die großartige Gestalt
des sitzenden Beethoven selbst verkündet die Sehnsucht nach einem Ausgleich dieser streitenden
Elemente, nach dem „dritten Reich", von dem Ibsens Julian Apostata prophetisch sprach, durch
den großen Künstler, den großen schöpferischen Menschen.
Die verheißene Schönheitswelt, die Marses nur von fern sah, wie Moses das gelobte Land,
um die Klinger ringt wie Jakob mit dem
Engel, hat Ludwig von Hofmann (geb.
1861, jetzt in Weimar) mit leichtem Zauber-
stabe erschlossen. Der jüngere Künstler
konnte freilich den Fortschritt des maleri-
schen Handwerks nützen, ihm gehorchen
Pinsel und Palette, Ölfarben und Pastell-
stifte ohne Widerstreben. So malt er denn
mit leichter Hand die Natur in den
trunkenen Farben, in denen sein Poeten-
auge sie erschaut. Wälder, Täler und
blühende Gefilde tauchen aus von üppiger,
blendender Pracht (Abb. 386). Zarte, schlanke
Jünglings- und Mädchengestalten wandeln
darin umher, baden und tanzen und trinken
am Quell in paradiesischer Nacktheit, oder
kleiden sich in bunte, flatternde Gewänder,
die ein Strahl der Sonne vergoldet. Oder
der Künstler zaubert einen Rausch von Farben
und Arabesken aus die Leinwand, die sich selt-
famverfchlingen und lösen und aus deren phan-
tastischem Gewirr ein Frauenkopf, ein schim-
mernder weißer Körper, eine Blume, ein Vogel
mit märchenhaftem Gefieder auftaucht. Hof-
manns Kunst ist im schönsten Sinne dekorativ,
eine schmückende Malerei, die jeden Raum in
einen heiteren Festsaal wandelt (Wandbilder
für das Standesamt an der Fischerbrücke, Ber-
lin; für die bisher unausgeführte Museums-
halle und das neue Hoftheater in Weimar). 884. Liszt, von Max Klinger.
 
Annotationen