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Springer, Anton; Osborn, Max [Hrsg.]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0487
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4. Moderne Plastik und Architektur.

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Denkmal auf die Stufen des Postaments, das die Büste des
Dichters trägt, als feine Personifikation feiner Poesie eine pi-
kante Pariserin in moderner Toilette zu setzen.
Die temperamentvolle Kunst Carpeaux' wurde von zwei
Schülern seines Kreises, von Jules Dalou (1838—1902) und
Alexandre Falguisre (1831—1900) fortgesetzt. Zwar ist
auch Dalou in seinem riesigen „Triumph der Republik" dem
rhetorischen Pathos nicht fern geblieben, aber in seinen Büsten,
seinen Skizzen zu einem „Denkmal der Arbeit" (Abb. 461) und
andern Kompositionen (Triumph des Silen, Bacchische Szene)
verbindet sich ein enormes Formgefühl mit unbedingter Natur-
wahrheit. Eine Zeitlang hat Dalou in London gewirkt
(Abb. 462), wohin er als Communard von 1871 geflohen war,
und wo er der jüngeren englischen Plastik bedeutsame Anregungen
vermittelte. Auch Falguisre hat in seinen Denkmälern und großen
Effektstücken oft etwas Theatralisches (Abb. 460). Doch auch er
ist ein Meister des Porträts gewesen, und die berühmten Figuren
seiner Diana und seiner Tänzerin sind unnachahmliche Leistungen
einer Bildnerei, der die Ehrfurcht vor der Natur als das
heiligste Gesetz gilt. Falguisres Schüler Antonin Mer cis
(geb. 1845) hat nicht die unbedingte Sicherheit feines Meisters,
doch auch er verfügt, namentlich an deutschem Maßstab gemessen,
über ein bedeutendes
Können. Mercis ist
namentlich durch seine etwas chauvinistisch angehauchte
„tzuauä msuas"-Gruppe (Abb. 463) populär geworden.
Auch eine zweite patriotische Erfindung, die Gruppe
,,6-Ioria vistls" (im Hotel de Ville), knüpfte an den
Krieg mit Deutschland an und brachte dem Künstler
einen großen Erfolg.
Von Carpeaux über Dalou und Falguisre führt
jedoch ein direkter Weg zu dem größten Genie der
modernen französischen Plastik, zu Auguste Rodin
(geb. 1840). Seine Tat war es, die Brücke zwischen
der Ruhelosigkeit des Geistes unserer Zeit und der
Ruhe der Plastik, zwischen dem Fließenden und dem
Festen zu finden. Es war natürlich und lag auch nur
in der Konsequenz der technischen Entwicklung, daß
diese Verbindung durch einen engeren Anschluß der
Bildhauerei an die Prinzipien des Malerischen herge-
stellt wurde. Rodin begründete diesen Bund kraft
seiner Persönlichkeit und schuf sich so ein Mittel, alle
Zerrissenheit und Sehnsucht der Gegenwart, ihr seuf-
zendes Erkennen, ihre Schwäche und ihr unbegrenztes
Wollen in den Rhythmus der Form zu bannen. Er
462. Brunnen in London, von I. Dalou. nimmt dabei ebenso wie die impressionistischen Maler


461. Studie für das unvollendete
Denkmal der „Arbeit",
von I. Dalou. Bronze.


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