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Weihe angebracht zu seyn. Denn den unvermählten Mädchen pflegte man ihn aufs Grab zu stellen zum
Zeichen, dass sie das Brautbad nicht eher empfangen, als bis sie im Sterben dem Erdgott geweiht, und
gleichsam eine Todtenbraut geworden. Ueber der Mündung des Gefässes erhebt sich eine Sirene, die
Lygea, in Frauengestalt bis zu den Knieen, mit Vogel-Beinen und Schweif, die Flügel ausbreitend und
die Sidonische viereckige Leyer, jene süsstönende, zehnsaitige Nabla oder den Nablas mit dem Plektron
spielend, wie auf der Grabstele des Isohrates, insbesondere die hinreissende Gewalt seiner Beredtsamkeit
anzudeuten, dargestellt war ; hier aber steht sie vermuthlich als allgemeines Sinnbild der süssen Wehmuth
und Sehnsucht, welche die geliebten Abgeschiedenen hinterlassen, und waltet als Todesmuse, Muse der
Threnodie oder Todtenklage, über der Grabstätte.
An eben erwähnte Stele lehnt sich ein herabgesunkenes Säulenstück, das oben mit einem Weihe-
kranz von roher Wolle umgeben, und mit dem Bilde eines verstorbenen Tempel-Dieners und Pförtners,
des unter einer Bogenhalle stehenden, chiton-bekleideten Jünglings, verziert ist. Die Bogenwölbung
beweiset die Errichtung des Denkmals in später Römerzeit und auch die geringe Höhe desselben stimmt
damit überein, weil seit einer Verordnung des Demetrios Phalereus, wegen Einschränkung des Luxus in
Attica, Grabsteine nicht die Höhe von drei Palmen übersteigen durften. Die zwei nebenstehenden Epi-
themen von Gräbern sind architektonisch mit einer Bedachung, Stirnziegeln, Gesimsen und Eckpfeilern
ausgeschmückt, als Symbole der ewigen Wohnung der Verstorbenen, wie auf vorerwähntem Giebelpfeiler
der Giebel oder Adler als Tempelsymbol der verklärten Heroen oder Manen, Geister derselben, vorkommt.
Auf dem ersten halbverschütteten Epithema liest man nur noch den Namen des attischen Gaues Myrrhinos,
aus welchem die Abgeschiedene, mit Namen Nikarete, Tochter des Myrrhinusiers Telesiphron, wie die
noch vorhandene Inschrift: NIKXfeTGTexe$Ic()pONO?MYffINOYSIOY besagt, herstammte;
auf dem zweiten, hochemporragenden Epithema ist in erhobenem Relief das idealisirte Bildniss eines ver-
storbenen bärtigen Richters, sitzend auf dem Sessel und den Stab in der Hand haltend, dargestellt.
Zur Einfassung des Titelbildes wurde von einem athenischen Vasengemälde die Verzierung von
Lotosblumen, dem Symbol der Hoffnung des Wiederauflebens und der Unsterblichkeit, hier angebracht.
Titelvignette,
Das letzte Lebewohl, in flachem Bildwerk an einer Hydria von der vorhin angezeigten Form, auf
einer Marmorstele aus Athen dargestellt, welche die Grabschrift: X|>X[.hJI<0$Aj>XF.hvII<OY (Archi-
dikos, Sohn des Archidikos) trägt, und zu der Sammlung des Consul Fauvel gehörte.
Der Jüngling Archidikos, welcher aus der Mitte seiner Eltern auf immer scheidet, reicht seinem
gleichbenamten alten Vater die von ihm geforderte Hand zum letzten Mal, indem er sich von seiner tief
bekümmerten Mutter wegwendet. An ihrem Haupte sind die Locken abgeschnitten und geweiht zum
bevorstehenden Todtenopfer; sie stützt den Ellenbogen mit der linken, in seinem Anblick verloren, und
scheint durch Bewegung der rechten Hand und durch die Geberde des Gesichts ihm weinend den letzten
Abschiedsgruss: %aiQE, Freue dich! Lebe wohl! zuzurufen.
Beide männliche Figuren sind bloss mit dem grossen Mantel, Pharos, die weibliche Figur ist aber
mit einem langen Untergewand, Chiton poderes, und drüber geworfenem Peplon angethan, von dem ein
Theil, der bei Verschleierung über das Haupt gezogen werden konnte, hinten herabfällt; alle drei tragen
Fussbekleidungen, welche vermuthlich durch die fehlende Zuthat von Farben deutlicher bezeichnet waren.
Weihe angebracht zu seyn. Denn den unvermählten Mädchen pflegte man ihn aufs Grab zu stellen zum
Zeichen, dass sie das Brautbad nicht eher empfangen, als bis sie im Sterben dem Erdgott geweiht, und
gleichsam eine Todtenbraut geworden. Ueber der Mündung des Gefässes erhebt sich eine Sirene, die
Lygea, in Frauengestalt bis zu den Knieen, mit Vogel-Beinen und Schweif, die Flügel ausbreitend und
die Sidonische viereckige Leyer, jene süsstönende, zehnsaitige Nabla oder den Nablas mit dem Plektron
spielend, wie auf der Grabstele des Isohrates, insbesondere die hinreissende Gewalt seiner Beredtsamkeit
anzudeuten, dargestellt war ; hier aber steht sie vermuthlich als allgemeines Sinnbild der süssen Wehmuth
und Sehnsucht, welche die geliebten Abgeschiedenen hinterlassen, und waltet als Todesmuse, Muse der
Threnodie oder Todtenklage, über der Grabstätte.
An eben erwähnte Stele lehnt sich ein herabgesunkenes Säulenstück, das oben mit einem Weihe-
kranz von roher Wolle umgeben, und mit dem Bilde eines verstorbenen Tempel-Dieners und Pförtners,
des unter einer Bogenhalle stehenden, chiton-bekleideten Jünglings, verziert ist. Die Bogenwölbung
beweiset die Errichtung des Denkmals in später Römerzeit und auch die geringe Höhe desselben stimmt
damit überein, weil seit einer Verordnung des Demetrios Phalereus, wegen Einschränkung des Luxus in
Attica, Grabsteine nicht die Höhe von drei Palmen übersteigen durften. Die zwei nebenstehenden Epi-
themen von Gräbern sind architektonisch mit einer Bedachung, Stirnziegeln, Gesimsen und Eckpfeilern
ausgeschmückt, als Symbole der ewigen Wohnung der Verstorbenen, wie auf vorerwähntem Giebelpfeiler
der Giebel oder Adler als Tempelsymbol der verklärten Heroen oder Manen, Geister derselben, vorkommt.
Auf dem ersten halbverschütteten Epithema liest man nur noch den Namen des attischen Gaues Myrrhinos,
aus welchem die Abgeschiedene, mit Namen Nikarete, Tochter des Myrrhinusiers Telesiphron, wie die
noch vorhandene Inschrift: NIKXfeTGTexe$Ic()pONO?MYffINOYSIOY besagt, herstammte;
auf dem zweiten, hochemporragenden Epithema ist in erhobenem Relief das idealisirte Bildniss eines ver-
storbenen bärtigen Richters, sitzend auf dem Sessel und den Stab in der Hand haltend, dargestellt.
Zur Einfassung des Titelbildes wurde von einem athenischen Vasengemälde die Verzierung von
Lotosblumen, dem Symbol der Hoffnung des Wiederauflebens und der Unsterblichkeit, hier angebracht.
Titelvignette,
Das letzte Lebewohl, in flachem Bildwerk an einer Hydria von der vorhin angezeigten Form, auf
einer Marmorstele aus Athen dargestellt, welche die Grabschrift: X|>X[.hJI<0$Aj>XF.hvII<OY (Archi-
dikos, Sohn des Archidikos) trägt, und zu der Sammlung des Consul Fauvel gehörte.
Der Jüngling Archidikos, welcher aus der Mitte seiner Eltern auf immer scheidet, reicht seinem
gleichbenamten alten Vater die von ihm geforderte Hand zum letzten Mal, indem er sich von seiner tief
bekümmerten Mutter wegwendet. An ihrem Haupte sind die Locken abgeschnitten und geweiht zum
bevorstehenden Todtenopfer; sie stützt den Ellenbogen mit der linken, in seinem Anblick verloren, und
scheint durch Bewegung der rechten Hand und durch die Geberde des Gesichts ihm weinend den letzten
Abschiedsgruss: %aiQE, Freue dich! Lebe wohl! zuzurufen.
Beide männliche Figuren sind bloss mit dem grossen Mantel, Pharos, die weibliche Figur ist aber
mit einem langen Untergewand, Chiton poderes, und drüber geworfenem Peplon angethan, von dem ein
Theil, der bei Verschleierung über das Haupt gezogen werden konnte, hinten herabfällt; alle drei tragen
Fussbekleidungen, welche vermuthlich durch die fehlende Zuthat von Farben deutlicher bezeichnet waren.