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Straßburger Münsterblatt: Organ des Straßburger Münster-Vereins — 6.1912

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Knauth, Johannes: Bericht über die Bauschäden am Turmpfeiler und ersten Arkadenpfeiler des Münsters
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https://doi.org/10.11588/diglit.20536#0089
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zeigt

vorerwähnten Turmstrebepfeiler entstehenden Seiten- mässig grosse ist*, kann trotz des relativ ungünstigen
drucks eine der Ursachen für die Zerstörung des Ergebnisses der statischen Untersuchung nicht wohl
Pfeilers gesehen werden muss. angenommen werden, dass die Ursache zur Zer-

In der Tat ist, wie aus einer im Aufträge Störung ausschliesslich in den vorangeführten Mehr-
des Münsterbauamtes durch Herrn Prof. Glöckner belastungen liegt.

ausgearbeiteten statischen Untersuchung hervor- Als weiterhin mögliche Ursache war noch

geht, das Gesamtresultat der auf den Pfeiler in Betracht zu ziehen die Übertragung weiterer
wirkenden Kräfte ein durchaus unbefriedigendes, aussergewöhnlicher Drucke vom Turm, die mög-
Die Resultierende sämtlicher Kräfte
ein Druckzentrum, welches nicht
weniger als ca. 60 resp. ca.
io cm von den Achsen des
Pfeilergrundrisses entfernt ist,
also ganz bedeutend aus dem
Kern desselben herausfällt. Neben
einer 700 000 kg betragenden
Vertikalbelastung kommt noch
eine Horizontalbeanspruchung von
32 000 kg in Betracht, ein Sei-
tenschub, der je nach Umständen
Umsturz, Biegung oder Spaltung
verursachen kann, daneben eine
zweite Horizontalbeanspruchung,
welche Drehung im negativen
Sinne zu bewirken geeignet ist
(Abb. 12).

Bei Berücksichtigung des
Winddrucks auf den Turm und
der Voraussetzung, dass auch hier-
bei in normaler Weise nur der
der Grundrissfläche des Turm-
strebepfeilers entsprechende Be-
trag auf den Schiffspfeiler über-
tragen wird, erhöht sich die Ver-
tikalbelastung des letzteren auf
7i5 000 kg, die dazu gehörende
Horizontalkraft auf 60 000 kg

uns lichenfalls in unzureichender Bemessung oder

mangelhafter Ausführung des inne-
ren benachbarten Turmpfeilers
oder seines Fundamentes ihre
Begründung haben könnten. Schon
die Richtung der Risslinien lässt
ja an erster Stelle auf eine Ein-
wirkung vom Turm her schliessen,
und zwar vermittelt durch den
mehrfach erwähnten Strebepfeiler
im 1. Hochschiffsfenster, der mit
der Masse des Turmes durch das
Quadergefüge in innigem Ver-
band steht, und dadurch wohl in
der Lage ist, unkontrollierbare
Drucke vermittelst des Arcaden-
bogens auf den Schiffspfeiler zu
übertragen.

Das Aufgehende des benach-
barten inneren Turmpfeilers der
Südostecke des Nordturmes ist
zweifellos, wie der Augenschein
lehrt, in gutem Zustand (Abb. i3).
Derselbe besteht aus einem regel-
mässigen Gefüge von mächtigen,
sauber gearbeiteten Sandstein-
quadern. Folgen einer ungewöhn-
lichen Fugenpressung sind nicht
zu beobachten. Nur an der

in Verbindung mit einer kleinen Abb. 3. Erster Schiffspfeiler der Nordseite Nordseite sind einige von unten
Verschiebung des Druckzentrums, (von Nordwesten gesehen). aufsteigende Absprengungen, auf

während die zweite Horizontal- welche ich später noch zurück-

kraft kleiner wird.

Eine weit über das bei modernen Bau-
konstruktionen Zulässige hinausgehende Beanspruch-
ung des Pfeilers ist damit unter allen Um-
ständen vorhanden, denn eine reine Vertikal-
beanspruchung von 700 000 kg ohne jede Horizontal-
beanspruchung müsste dauernd im Schwerpunkt
angreifen oder in dessen nächster Nähe, wenn
die allgemein für Sandstein übliche Maximalbean-
spruchung von 3o kg/'qcm nicht überschritten
werden soll. Für centrale Belastung ist nämlich :
700 000 _

k — ~ — 29,17 kg, wobei 24000 qcm der

Z/L U U U

nutzbare Querschnitt des Pfeilers ist.

In Anbetracht des Umstandes jedoch, dass die
Bruchfestigkeit des Vogesensandsteins eine verhältnis-

kommen werde, vorhanden. Das obere Mauer-
werk des Turmes zeigt dagegen in den ver-
schiedenen Stockwerken unterhalb der Plattform
wie in den beiden andern so auch in den an
die Südostecke (die Ecke oberhalb des inneren
Pfeilers) anstossenden Mauern ziemlich bedeutende
Risse (Abb. 14 u. i5), die aber anscheinend sehr
alt sind und in den letzten Jahren keine Bewegung
mehr gezeigt haben.

Als Belastung des inneren Turmpfeilers ist bis i

i Untersuchungen des Sandsteinmaterials aus dem soge-
nannten Dreifaltigkeitsbruch bei Urniatt, einem der Brüche,
die aller Wahrscheinlichkeit nach bereits im Mittelalter für die
Materiallieferung zum Münsterbau gedient hatten, ergab eine
Bruchfestigkeit von 671 kg in lufttrockenem Zustand.
 
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