Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Straßburger Münsterblatt: Organ des Straßburger Münster-Vereins — 6.1912

DOI article:
Knauth, Johannes: Bericht über die Bauschäden am Turmpfeiler und ersten Arkadenpfeiler des Münsters
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.20536#0105
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
93

heit ist vor Allem eine Folge des Turmstrebe-
pfeilers und der Triforiumausmauerung im ersten
Felde. Dieser Ausschlag nach dem Turme zu wäre
ungefährlich, wenn A nicht so weit von der Längs-
achse des Pfeilerquerschnittes entfernt wäre. An
diesem Abstand trägt aber die exzentrische Lage
des Turmstrebepfeilers und der Triforiumausmauerung
nur geringe Schuld.

Nach einer von mir vorgenommenen überschläg-
lichen Berechnung würde durch Beseitigung des
Turmstrebepfeilers und der Triforiumausmauerung
im ersten Felde der Durchstossungspunkt nur um
4 bis 5 cm nach innen rücken. Daraus ist ersicht-
lich, dass diese Konstruktionen nicht die Hauptschuld
tragen. Auch das massive Steinplattendach über
dem ersten Gewölbefelde des Seitenschiffs ist nicht
die Ursache; dieses wirkt sogar günstig, indem es
einen nach innen gerichteten Horizontalschub gegen
den Pfeiler hervorruft, der den Durchstossungs-
punkt A näher an die Längsachse des Pfeilers
bringt. Ich bin der Meinung, dass wahrscheinlich
der alte Baumeister seinerzeit dieser Wirkung
wegen das Steinplattendach ausgeführt hat. Die vor-
stehend ausgesprochene Ansicht wird noch durch
weitere, nachstehend vorgeführte Tatsachen ge-
stützt.

Um die Verhältnisse zu klären, welche nach
eventueller Beseitigung des im ersten Joche bele-
genen Turmstrebepfeilers und der Triforiumaus-
mauerung auftreten, habe ich einen der anderen,
regelmässigen Schiffspfeiler untersucht und bin
dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass bei diesen
nahezu dieselbe ungünstige Kräftelage vorhanden
ist, wie bei dem ersten Schiffspfeiler der Nordseite.
Daraus folgt, einmal, dass die der Berechnung zu
Grunde liegenden Annahmen zu ungünstig sind,
natürlich in beiden Untersuchungen. Dass man
besonders ungünstige Annahmen gemacht hat, ist
aber für die vorliegenden Zwecke berechtigt und
geboten. Auch hat der Verfasser der Stat. Berech-
nung mehrfach auf die unvermeidliche Unsicherheit
der Annahmen hingewiesen. Es folgt aber weiter,
dass die bisher angeführten Konstruktionen
nicht die Hauptursache der Bauschäden sind.
Denn die anderen Schiffspfeiler, bei denen die
Berechnung unter entsprechenden Annahmen nahezu
gleiche ungünstige Kräftewirkung gibt, wie bei dem
beschädigten Pfeiler, stehen unversehrt da.

Endlich ist ein weiterer Beweis für die Richtig-
keit vorstehender Ansicht in dem Verhalten des
ersten Schiffspfeilers der Südseite zu finden, des-
jenigen Schiffspfeiler, welcher dem beschädigten
Pfeiler gegenüber liegt und nach den Angaben im
Bericht des Münsterbaumeisters auf S. 4 und 5
ebenfalls die Mehrbelastungen durch Turmstrebe-
pfeiler und Triforiumausmauerung zu tragen hat,

freilich sehr eng gepresste Fugen, aber keine Zer-
störung des Steinmaterials durch Risse oder
Absprengung der Kanten zeigt.

Unter diesen Umständen bin ich der Meinung,
dass die erwähnten Belastungen nicht die
Grundursache der Schäden sind, dass demnach,
wenn die wirklichen Ursachen gefunden und
beseitigt sind, Turmstrebepfeiler und Trifo-
riumausmauerung nicht entfernt zu werden
brauchen.

Ursache der Schäden.

Die wirkliche Ursache der Schäden ist die
ungenügende Fundierung des benachbarten Turm-
pfeilers. Hierbei kann ich mich der Ansicht des
Herrn Knauth auf S. 19 und 20 seines Berichtes
anschliessen. Der ungenügend fundierte Turmpfeiler
überträgt sein ungeheures Gewicht, für welches er
eine Stützfläche an der vorgeschriebenen Stelle nicht
findet, zum grossen Teile auf die vier benachbarten
Pfeiler, welche mit ihm im Grundrisse ein Kreuz
bilden; er selbst steht im Schnittpunkt beider
Kreuzbalken. Drei von diesen Pfeilern sind Turm-
pfeiler und wohl im Stande die Mehrbelastung auf-
zunehmen. Der vierte ist der erste Schiffspfeiler der
Nordwand und dieser ist natürlich der ungeheuren
Mehrbelastung nicht gewachsen. Wie gross diese
war, ist mit einiger Bestimmtheit nicht festzustellen.
Aber diese Feststellung ist auch nicht erforderlich.
Das verschiedene Verhalten der beiden gegenüber-
stehenden Mittelschiffspfeiler in der Nord- und Süd-
wand ist ein Beweis für die Richtigkeit der Annahme.

Ich bin demnach der Ansicht, die Herr Knauth
auf Seite 20 wörtlich ausgesprochen hat :

«Während die äusseren Turmpfeiler (Südwest
und Nordost des Turmes) bei ihren auch für ein
Mehrfaches an Belastung vollständig ausreichenden
Abmessungen ohne weitere Folgen diese Last auf-
zunehmen im Stande waren, musste dagegen der
nur für verhältnissmässig geringen Druck bestimmten
erste Schiffspfeiler, welcher nachgewiesenermassen
bereits durch seine normalen Belastungen übermässig
in Anspruch genommen wird, notwendig der Ein-
wirkung der gewaltigen Drucke nachgeben.

Daher die in demselben zu beobachtenden Zer-
störungen ».

Folgerungen für die vorzunehmenden
Arbeiten.

Aus den vorstehenden Darlegungen folgt für
die vorzunehmenden Arbeiten :

1. Es ist der ungenügend fundierte Turmpfeiler
durch Herstellung gesunder, bis zum tragfähigen
Kies hinabreichender Fundamente in den Stand zu
setzen, die ihm zukommende Last, selbst zu tragen.
 
Annotationen