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Strube, Christine
Baudekoration im nordsyrischen Kalksteinmassiv (Band 2): Das 6. und frühe 7. Jahrhundert — Mainz am Rhein: Verlag Philipp von Zabern, 2002

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.71526#0134
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Beteiligung an Arbeiten in Nordmesopotamien zum Bei-
spiel die Sonderstellung der Tür von Bäbisqä514 durchaus
erklären.
Für unsere Fragestellung ist jedoch wichtig festzuhal-
ten, daß selbst für die Kirchen, bei denen die „klassi-
schen“ Formen des Akanthus im Zentrum der Baudeko-
ration stehen, die eventuelle Beteiligung an Bauvorhaben
in Nordmesopotamien keine ausreichende Erklärung
bieten würde, weil die Unterschiede zu Arbeiten dieses
Bereichs so stark ausgeprägt sind, daß Hauptformen der
Bauten des Kalksteinmassivs nicht mit dem direkten Ein-
fluß oder der unmittelbaren Kenntnis nordmesopotami-
scher Baudekoration erklärt werden können. Wir müssen
noch einmal auf die Jahre nach 518 und vor 530 n. Chr.
zurückblicken:
Die Werkstatt der Basilika B, die zweifellos aus dem
städtischen Bereich der Mesopotamia, wahrscheinlich so-
gar der Metropole Amida, hinzugezogen wurde515,
brachte das Kapitell mit ausgepräger Kalathoszone als
fertig ausgebildete Form mit. In den Kirchen der Antio-
chene traten verschiedene Varianten dieser Kapitellform
in den 30er Jahren des 6. Jhs. auf, und sie führen weiter-
bildend über die Kapitelle der Basilika B hinaus. Die
Kapitellform war also vor 518 n. Chr. im städtischen Be-
reich ausgebildet worden und breitete sich in der ersten
Hälfte des 6. Jhs. in weit auseinanderliegenden Regionen
Syriens aus. Bemerkenswert ist, daß sie in ihrer größten
Variationsbreite in den zentralen Regionen der Antio-
chene überliefert ist, dort aber als eine Variante unter
zahlreichen anderen Varianten des korinthischen Kapi-
tells Teil eines Gesamtbildes war, das sich grundlegend
von dem der nordmesopotamischen Bauten unter-
schied516.
Die betont „klassisch“ auftretenden Blatt- und Ran-
kenformen waren in der Mesopotamia ebenfalls vor Bau-
beginn der Basilika B ausgebildet worden, es ist jedoch
noch umstritten, ob sie in kontinuierlicher Entwicklung
aus dem 5. Jh. hervorgingen, oder erst am Anfang des
6. Jhs. aufkamen517. Die Kapitelle der Hallawiya ken-
nen sie noch nicht, und sie sind auch nicht Bestand-
teil des Gesamtbildes von Qalcat Simcän. Da sie aber
Hauptform der Westkirche von Mecez, der Kirche von
Bäbisqä und der Ostkirche von Behyo sind und in der
Kirche von Bäfetln bereits als eine Kapitellvariante unter
anderen erscheinen, ist anzunehmen, daß sie in den er-
sten Jahrzehnten des 6. Jahrhunderts auch in Werkstät-
ten des nordwestsyrischen Bereichs bekannt waren.
Einiges weist also darauf hin, daß in den Kirchen des
Kalksteinmassivs, die gegen 530 begonnen wurden, die
Formenwelt der großen nordsyrischen Städte erhalten
blieb, die in diesen größtenteils verlorenging, und daß
der Überlieferung des Zentralbaus und der Basilika B
von Resafa im Blick auf die Städte der Osrhoene und
Mesopotamia eine vergleichbare Bedeutung zukommt.
Ich komme nun zurück zu der Frage des Austauschs

zwischen den beiden großen Bereichen Syriens. Wir
sahen, daß dem breit aufgefächerten, variantenreichen
Befund der Antiochene ein verhältnismäßig homogenes
Dekorationsbild mit „klassischem“ Akanthus und tief
abgestuften Gesimsformen als zentraler Ausdrucksform
gegenübersteht. Besonders trennend wirkt sich aus, daß
die geometrischen Innenmuster der Formensprache von
QaFat Simcän und die neuen Blattformen der Hallawiya,
mit denen die Umbildung traditioneller Kapitellformen
verbunden ist, im nordmesopotamischen Bereich nur
sehr selten aufgenommen wurden518 - die Grundeinstel-
lung gegenüber „klassischen“ Formen schloß sie aus.
Darüberhinaus waren - nach bisheriger Kenntnis des
Materials - windbewegte Kapitelle, die im 6. Jahrhun-
dert unter Einfluß der Kapitellplastik Konstantinopels
neu geschaffenen Kapitellformen sowie die Kombination ge-
gensätzlicher Formen auf einem Kapitell keine bestim-
menden Faktoren in der Produktion nordmesopotami-
scher Werkstätten519 — das Gesamtbild war also insge-
samt einfacher.
Ein direkter Einfluß des einen auf den anderen Be-
reich oder ein kontinuierlicher Austausch zwischen bei-
den Bereichen sind nicht festzustellen, sondern vor allem die
unterschiedliche Aufnahme und Auswahl von Einzelfor-
men und Darstellungsweisen und ihre eigenständige
Weiterbildung in den einzelnen Kunstlandschaften.
Wahrscheinlich ist, daß bei der Vermittlung und Ver-
breitung von Dekorationsformen die nordsyrischen
Städte eine große Rolle spielten. Leider ist bis jetzt offen,
welche Bedeutung den südsyrischen Städten bei diesen
Vorgängen zukam. Die hier vorgestellte These von dem
Einfluß der nordsyrischen Städte würde bedeuten, daß
die im Kalksteinmasiv mit allen Varianten und in einmal
flächig-geometrischer ein andermal betont „klassischer“
Darstellung auftretenden Dekorationsformen die Situa-
tion der Baudekoration Antiochias wie generell der nord-
und mittelsyrischen Städte im frühen 6. Jahrhundert wi-
derspiegeln, und daß in den nordmesopotamischen
Werkstätten eine bewußte Auswahl aus diesem Gesamt-
repertoire vorgenommen wurde. Besonders aufschluß-
reich ist hier der Zentralbau von Resafa, dessen Kapitell-
bild deutliche Beziehungen zu Bauten der Antiochene
aufweist, obwohl die aufgenommenen Formen ganz der
nordmesopotamischen Werkstattstradition angepaßt wur-
den520.

514 Dazu S. 56.
515 Brands 1998, 80 f.
516 Siehe S. 40 £ 76 f.
517 Zusammenfassende Diskussion bei Mundell-Mango 1982, 115 ff.
518 Eines der wenigen mir bekannten Beispiele ist der Rankenfries
des Al Mundir-Baus in Resafa - Schneider (Anm. 450) 19 Abb. 3.
519 Siehe die Ausführungen zum Zentralbau von Resafa S. 109 f.
520 Siehe S. 108ff.

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